„Diese fehlende Vorbelastung“

von Alexander Stirn Interview

Einleitung

Hendrik Lambrecht gehört zu den sogenannten Zufallsbürgern, die im Nationalen Begleitgremium an der Endlager-Standortsuche beteiligt sind. Hier sagt er, wie er dazu gekommen ist und warum man bei einem so komplexen Thema gerade als Laie einen großen Vorteil hat

Warum auch Laien wichtig bei der Suche sind

Einblicke:

Professor Lambrecht, im September 2016 gehörten Sie zu den mehr als 70.000 zufällig ausgesuchten Menschen, die auf der Suche nach Bürgervertretern für das Nationale Begleitgremium angerufen wurden. Was dachten Sie, als das Telefon klingelte?

Hendrik Lambrecht:

Ganz ehrlich, mein erster Gedanke war: Ist das jetzt schon wieder so ein Werbeanruf?


Hendrik Lambrecht ist Professor für Industrial Ecology und Quantitative Methoden an der Hochschule Pforzheim. Auch wenn er sich als Forscher mit Themen wie Ökobilanzierung und Energie- und Stoffstrommanagement befasst – in Bezug auf Fragen der Atommüllendlagerung ist er Laie.


Trotzdem haben Sie nicht gleich aufgelegt. Warum nicht?

Als sich die Anruferin als Mitarbeiterin der Universität Bamberg vorstellte, kam mir das schon etwas seriöser vor. Und als ich dann hörte, dass es um die Suche nach einem Atommüllendlager gehen sollte, dachte ich: Eigentlich eine gute Idee, dass man bei so einem gesellschaftlichen Großprojekt die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und deren Meinung berücksichtigen will. Zunächst ging es auch „nur“ um die Teilnahme an einem Bürgerforum. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich zugesagt – auch weil ich denke, dass das so etwas wie Bürgerpflicht ist.


„Mein erster Gedanke war: Ist das jetzt schon wieder so ein Werbeanruf?“

Was, glauben Sie, können Sie ganz persönlich in diesen Prozess einbringen?

Ich denke – und das gilt genauso für die anderen Bürgervertreterinnen und -vertreter –, dass unsere große Stärke der Blick von außen ist. Wir sind als Neulinge in den Prozess um die Suche nach einem Endlager hineingekommen. Und wir haben keine Eigeninteressen: Wir sind keine Anrainer, keine Energieversorger oder Politiker, die sich in der Vergangenheit entsprechend positioniert haben. Es ist genau diese Unvoreingenommenheit, diese fehlende Vorbelastung, die wir einbringen können.

Aber ist es als politischer Laie nicht außerordentlich kompliziert, all die Prozesse zu durchblicken?

Das ist natürlich eine der Schwierigkeiten bei dieser Art der Gremienarbeit. Aber letztlich ist unser Laienstatus auch ein großer Vorteil.


„Wir erwarten, dass die Prozesse transparent ablaufen, dass wir bei allen Entscheidungen mitgenommen werden.“

Inwiefern?

Als Bürgerinnen und Bürger sind wir nicht bereit, Prozesse, die sich über Jahre in Behörden eingeschliffen haben oder die in politischen Gremien üblich sind, fraglos zu schlucken. Wir erwarten, dass die Prozesse transparent ablaufen, dass wir bei allen Entscheidungen mitgenommen werden. Denn nur wenn dies bei uns gelingt, dann gelingt es vielleicht auch bei einer größeren Öffentlichkeit. Dem Nationalen Begleitgremium geht es um Vertrauen in das Verfahren.

Allerdings machen die sogenannten Zufallsbürger nur ein Drittel des Nationalen Begleitgremiums aus. Die große Mehrheit sind von der Politik bestimmte „anerkannte Persönlichkeiten“, wie es im Gesetz heißt. Fühlen Sie sich unterrepräsentiert?

Mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen würde ich sagen: Das ist in Ordnung so. Selbst als Minderheit können wir laut Geschäftsordnung einiges erreichen, zum Beispiel Sondersitzungen einberufen. Außerdem haben wir es uns als Gremium zum Ziel gesetzt, konsensorientiert zu arbeiten. Einfach die Minderheit zu überstimmen und so zu tun, als wäre nichts geschehen, geht daher nicht. Aber natürlich hätte ich auch nichts dagegen, wenn wir je zur Hälfte mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit anerkannten Persönlichkeiten besetzt wären.


Und es gibt keine Reibereien zwischen diesen Gruppen?

Im Gegensatz zu manchen Befürchtungen, die zum Beispiel bei den Bürgerforen thematisiert wurden, hat sich auf menschlicher Ebene ein sehr gutes, kollegiales Miteinander entwickelt – was sicher auch daran liegt, dass wir gleich in der ersten Sitzung wegen der parallel laufenden Novellierung des Standortauswahlgesetzes die Ärmel hochgekrempelt und gemeinsam eine öffentliche Veranstaltung zu dem Thema organisiert haben.

Klingt fast schon zu schön, um wahr zu sein.

Es ist aber in der Tat ein sehr gutes Verhältnis. Wobei ich andererseits auch immer dafür eintrete, dass wir die Unterschiede zwischen uns politischen Laien und den Profis nicht unter den Teppich kehren, sondern dass wir sie vielmehr zulassen, wahrnehmen und aktiv für das Gremium nutzen. Die unterschiedlichen Zugänge sind ein Gewinn für ein Verfahren, das lernen und auch sich selbst hinterfragen soll. Im Zweifel muss man dann eben auch einmal sagen: Das sehe ich nicht so, kann man da nicht pragmatischer und lösungsorientierter herangehen?


„Die unterschiedlichen Zugänge sind ein Gewinn für ein Verfahren, das lernen und auch sich selbst hinterfragen soll.“

Und dann? Gerade die Bürgerinitiativen, die bundesweit gegen Atommülllager kämpfen, kritisieren das Nationale Begleitgremium als zahnlosen Papiertiger. Haben Sie denn genügend Befugnisse?

Wir sind immerhin schon mal da und haben uns in den vergangenen Jahren an vielen Stellen bemerkbar gemacht, das ist zumindest ein Anfang (lacht). Doch im Ernst: Wir können Akten einsehen, was der Öffentlichkeit so nicht möglich ist. Wir können Bewertungen vornehmen und Empfehlungen an den Bundestag richten. Persönlich denke ich daher, dass unsere Befugnisse schon sehr weitreichend sind. Zumindest kann die Suche nach einem Endlager nicht einfach über uns hinwegrollen. Alle sind gut beraten, das Nationale Begleitgremium mit seinem gesetzlichen Auftrag ernst zu nehmen. Alles andere würde dem Prozess und seiner Akzeptanz in der Öffentlichkeit nicht guttun.

Wenn Sie sich in Ihrem Bekanntenkreis umhören, gibt es da überhaupt so etwas wie Interesse oder sogar ein Problembewusstsein für die Suche nach einem Endlager?

Ja, auf jeden Fall. Teilweise bin ich sogar überrascht, wie präsent das Thema bei einigen Menschen ist, und denke mir: Oh, das ist ja viel mehr Wissen, als bei mir vorhanden war, bevor ich damals den ersten Anruf mit der Einladung zu den Bürgerforen bekam.

Aber geht dieses Interesse wirklich über ein „Dafür“ oder „Dagegen“ hinaus?

Es ist zumindest prinzipiell vorhanden. Für die Tiefen, für all die Details und Facetten, die die Standortsuche mit sich bringt, fehlt dann aber doch das Problembewusstsein – ganz einfach, weil das Thema sehr speziell ist und Menschen im Alltag verständlicherweise andere Sorgen haben. Aber genau diese Einsicht unterscheidet uns als Zufallsbürgerinnen und -bürger wieder von den Experten, in deren Umfeld – allein schon aus beruflichen Gründen – das Thema Endlagersuche eine viel größere Rolle spielt. Diese Erdung, diese Fähigkeit, den Prozess ganz anders einzuordnen, schadet der Suche bestimmt nicht.


Aktualisierung

Ende Februar 2019 hat Hendrik Lambrecht sein Mandat im Nationalen Begleitgremium niedergelegt, vor allem weil die Belastung im Ehrenamt zu groß wurde.

Der Autor

Alexander Stirn

Alexander Stirn arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in München und widmet sich sonst eher überirdischen Dingen: Themen aus der Luft- und Raumfahrt. Der Physiker, der unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Zeit“ schreibt, war für die „Einblicke“ neulich aber auch das erste Mal unter Tage und hat aus Morsleben berichtet.

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