Clausthal - Endlagerung studieren
03.12.2018 von Arno Frank Reportage
Einleitung
Das Thema Endlagerung ist so relevant wie nie zuvor. Spezialisten haben also beste Berufschancen. Wie kommt es, dass es am Institut für Endlagerforschung der Technischen Universität (TU) Clausthal gerade mal zehn Studierende gibt? Unser Reporter war dort.
Von Arno Frank
Fotos: Frank Schinksi
Ein besonders wichtiges Studienfach für die Zukunft
„Wer sich mit Kontamination beschäftigt, der erscheint selbst kontaminiert.“
Wer an „Umweltschützer“ denkt, hat sofort Bilder vor Augen. Menschen, die an Schornsteinen im Ruhrgebiet bunte Transparente entrollen. Leute, die sich im Hambacher Forst verschanzen. Bürgerinnen, die gegen das Fällen von Bäumen in Stuttgart protestieren. Wagemutige, die sich in Gorleben an Schienen ketten.
Deutschlands vielleicht radikalste Umweltschützer allerdings gehen nicht auf die Barrikaden. Sie studieren am Institut für Endlagerforschung (IELF) der TU Clausthal das Fach „Geoenvironmental Engineering“. Und sie machen sich ernsthafte Gedanken über die Endlagerung radioaktiver Abfälle.
Zwar hat Deutschland sich zum Ausstieg aus der Kernkraft entschieden, sitzt aber auf einem Berg strahlender Abfälle. Exportiert werden darf der Müll nicht. Er ist da und strahlt. Er strahlt vor allem eine so außerordentliche, fast mystische Gefährlichkeit aus, dass allein die Beschäftigung damit verdächtig macht. Professor Klaus-Jürgen Röhlig, der den Studiengang leitet, bringt es mit einem hintersinnigen Lächeln auf den Punkt: „Wer sich mit Kontamination beschäftigt, der erscheint selbst kontaminiert.“
Michael Werres, 23, nickt. Sein Freundeskreis war zunächst skeptisch. Manche Kommilitonen schweigen sich in Gesellschaft sogar ganz darüber aus, was sie genau studieren, mit welch heikler Materie sie sich befassen. Zu hoch gehen sofort die Wogen. Auch Thomas Binder, 23, hängt seine Berufswahl nicht an die große Glocke. Er stammt aus Salzgitter, wo derzeit der Schacht Konrad zum Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ausgebaut wird.
Für die hochradioaktiven Abfälle muss ein Endlagerstandort erst noch gefunden werden. Sollte sich wissenschaftlich herausstellen, dass der Boden unter seiner Heimatstadt für diese Zwecke ideal ist, sagt Thomas Binder, dann wäre er dafür. Allerdings sei es nicht immer klug, das laut zu sagen. Binder ist politisch engagiert, in der SPD, und weiß daher, dass Politik und Wissenschaft nicht immer Hand in Hand gehen. Besonders beeindruckt hat ihn ausgerechnet Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, mit seinem Satz: „Irgendwo muss das Zeugs einfach hin.“
Wohin genau, damit beschäftigen sich hier an der TU derzeit – nur – zehn eingeschriebene Studenten, von denen sieben in Raum A1-225, einem kleinen, überschaubaren Sitzungszimmer, um einen Tisch versammelt sind. Darauf liegen drei dicke Brocken aus Salz, Ton und Granit. Welche dieser Gesteinstypen ideal sind für die Endlagerung, das lässt sich schwer sagen – und wird am Ende der Suche auch nicht den alleinigen Ausschlag geben. „Es geht um eine Gesamtlösung“, erklärt Hendrik Bollmann, 24. „Am Ende soll das Lager – also Geologie und Technik zusammen – sicher sein.“ Ein Ingenieur, fügt er hinzu, sehe durchaus die Probleme: „Aber er sucht nach einer Lösung.“
Und an einer Lösung für ein drängendes Umweltproblem sind alle jungen Männer hier am Tisch interessiert. Ihr Studium zielt auf Bachelor oder Master und verknüpft verschiedene Disziplinen, von Naturwissenschaften bis zum Ingenieurswesen. Es vermittelt Kenntnisse in Mathematik und Informatik ebenso wie Geologie. Bei einer Halbwertszeit von 24.000 Jahren kommen notwendigerweise auch die Geisteswissenschaften hinzu.
Wie lässt sich das Wissen darüber, was da im Boden schlummert, für künftige Generationen erhalten? Was, wenn eines Tages ein neues Unrechtsregime auf das Material zugreifen will, um daraus Waffen zu bauen? Was, wenn ein Erdbeben droht oder eine neue Eiszeit, bei der Gletscher die oberen 300 Meter Erdreich einfach wegfräsen würden? „Eigentlich“, sinniert Michael Werres, „müsste man so etwas wie eine Religion gründen“, weil nur eine Religion, eine Kultur der Wächter vielleicht, das Wissen um die drohende Gefahr über Jahrtausende bewahren kann.
Gedankenspiele gab es schon etliche: vom Schießen der Abfälle ins Weltall über die Einlagerung in einer Subduktionszone, wo die Kontinentalplatten sich übereinanderschieben, womit der Müll im glühenden Inneren der Erde verschwände, bis zum Einlagern unter dem Meeresboden (wie in Schweden) oder in Langzeit-Zwischenlagern in überirdischen Bunkern (wie in Holland). Alles, wirklich alles ist diskutiert und geprüft worden. Übrig geblieben sind die drei Brocken auf dem Tisch. „Wir haben das Problem von den Generationen vor uns übernommen“, sagt Hendrik Bollmann, „und wir wollen es den folgenden Generationen nicht hinterlassen“.
„Gedankenspiele gab es schon etliche. Übrig geblieben sind drei Gesteinsbrocken auf dem Tisch.“
Aus beruflicher Sicht stehen die Chancen für die Studenten gut. Experten für das Thema sind rar, ihre Expertise ist in allen nur denkbaren Bereichen gefragt. Wer kümmert sich beim Rückbau von Kernkraftwerken um den kontaminierten Bauschutt? Wer organisiert und überwacht die Transporte und die Zwischenlagerung von Abfällen? Wer berät die Politik bei der Genehmigung von Endlagern, wer koordiniert den Bau von Schachtanlagen? Und wer treibt die Forschung voran, damit die allerletzte Ruhestätte wirklich sicher ist?
Ehemalige Absolventen arbeiten, auch im Ausland, bei Strahlenschutzbehörden, in Ministerien und bei Umweltinstituten. So weit sind die Studenten hier am Tisch noch nicht. Derzeit genießen sie die Vorteile der TU Clausthal, in einem Städtchen mit 15.000 Einwohnern und, ringsum, einer jahrhundertealten Bergbautradition im Harz. Es reizen zahlreiche Exkursionen ins Ausland und eine enge Vernetzung untereinander sowie mit anderen Hochschulen, der Wirtschaft und staatlichen Auftraggebern.
Auf 4.700 Studenten kommen hier 1.050 Mitarbeiter. Der Betreuungsschlüssel ist also sensationell und die Frauenquote für die technischen Fächer vergleichsweise erfreulich. In allen Bereichen sind 25 Prozent aller Studierenden weiblich. Nur das Fach Endlagerforschung studieren meistenteils Männer. Dafür arbeitet dort Sophie Bahl, 28. Sie doziert über das „Management radioaktiver Abfälle“ und schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit über kristalline Hartgesteine im Auswahlprozess.
Wer künftig an „Umweltschützer“ denkt, der sollte auch die Studierenden hier im Sinn haben. Sie werden gebraucht.