Unter Tage muss Ordnung herrschen
Endlager Konrad
von Uta Deffke Hintergrund
Schacht Konrad soll 2027 den Betrieb als Endlager aufnehmen. Ab dann werden die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle aus den deutschen Zwischenlagern dort endgelagert. Das wird eine logistische Herausforderung.
Überwältigt geht der Blick hinauf ins Dunkle. Mehr als 50 Meter ragen die fensterlosen Wände in die Höhe. Hier, wo einst inmitten eines Wirrwarrs aus Rohren und Leitungen der Reaktor des Kernkraftwerks Würgassen stand, ist jetzt nichts – ein leerer Raum von geradezu kathedralen Ausmaßen.
Wie Graffiti zieren Abertausende kleiner Zahlen- und Buchstaben-Codes die kahlen Wände. Sie zeugen von der Ungefährlichkeit dieses Ortes, an dem vor Jahren mithilfe der kontrollierten Kernspaltung 300 Grad heißer Wasserdampf zum Antrieb der Turbinen und Generatoren erzeugt wurde. Hier drinnen ist die Strahlung nach dem Rückbau des Kraftwerks geringer als draußen auf der Wiese, weil die dicken Mauern die natürliche Strahlung abschirmen. Eines Tages werden auch sie verschwunden sein.
So wie in Würgassen enden nach ihrem Abschalten alle Kernkraftwerke in Deutschland: Zunächst werden die hoch radioaktiven und stark wärmeentwickelnden Abfälle entfernt – das sind insbesondere die Brennstäbe. Nach Angaben des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) enthalten die hoch radioaktiven Abfälle etwa 99 Prozent der gesamten Radioaktivität des Atommülls, machen aber nur rund fünf Prozent seines Gesamtvolumens aus.
Die verbleibenden 95 Prozent des Atommülls sind schwach- und mittelradioaktiv. Sie fallen zum größten Teil im Betrieb und insbesondere beim Rückbau der Bauwerke an. In dieser Phase untersuchen Expert*innen jeden Quadratmeter Mauerwerk, jedes Rohrstück, jedes Maschinenteil und entfernen alles, was radioaktiv kontaminiert ist. Diese Abfälle werden gemäß ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften nach verschiedenen Kategorien sortiert und in Fässer gefüllt, die ihrerseits in größere Container gestellt werden. Das sind Behälter aus Stahl, Beton oder Guss, die in der Regel mit Beton ausgegossen werden.
Solange es für diese Abfälle kein Endlager gibt, kommen die Behälter in oberirdische Zwischenlager – Hallen aus dickem Beton. Davon gibt es derzeit rund 35 in Deutschland, in denen je nach Standort und Größe einige Hundert oder auch mehrere Tausend Behälter dicht an dicht stehen. Jeder Behälter ist inventarisiert. „Wir wissen genau, welche Substanzen in unseren Behältern enthalten sind und wie hoch die Strahlung der Abfälle ist“, erläutert Hendrik Kranert-Rydzy, Sprecher der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ).
Gerechnet wird auf der „sicheren Seite“
Dieses Wissen ist wichtig, denn im Endlager Konrad dürfen die Behälter nicht beliebig eingelagert werden. „Unter Tage muss Ordnung herrschen“, sagt Thomas Lautsch von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die das Endlager betreibt. Der Hintergrund: Wenn die Ingenieur*innen die Langzeitsicherheit der Abfälle im Endlager betrachten, gehen sie stets davon aus, dass die Verpackung aus Stahl und Beton irgendwann verrottet. Genau deshalb dürfen die Behälter nicht beliebig eingestapelt werden. So müssen etwa die Gewichte der übereinanderstehenden Abfallgebinde aufeinander abgestimmt sein. Ebenso ist auf die verschiedenen Formen – quaderförmig oder zylindrisch – zu achten. Dies und Anforderungen des betrieblichen Strahlenschutzes machen eine bestimmte Reihenfolge notwendig, in der das Endlager Konrad die Abfallgebinde annehmen kann.
Entleerung der Lager von vorne nach hinten
Die Anlieferung der Behälter ans Endlager muss also detailliert geplant werden. Das Problem: In den Zwischenlagern ist eine solche Ordnung unnötig. Dort wurden und werden die Container so eingelagert, wie sie beim Rückbau anfallen. Die Behälter der einzelnen Kategorien sind hier unsortiert. Hendrik Kranert-Rydzy: „Das heißt aber auch, dass die Zwischenlager die Container bestimmter Kategorien nicht auf Bestellung liefern können.“ Denn die Lager müssen von vorne nach hinten geräumt werden. Container aus dem vorderen Bereich herausfahren und vor der Halle abstellen, um an einen gewünschten Container im hinteren Bereich zu kommen, ist schlichtweg nicht möglich (siehe Bild auf dem Umschlag). „Erstens ist der Aufwand viel zu hoch, zweitens dauert das viel zu lange, und drittens ist das Gelände vor den Hallen für das Rangieren der Container in der Regel nicht zulässig“, so Kranert-Rydzy.
Und das macht die Zusammenstellung der Behälter zu einer logistischen Herausforderung für den Transport. Denn einerseits sollen rund drei Dutzend Zwischenlager natürlich zügig geräumt werden, andererseits müssen im Endlager immer genau die richtigen Container der verschiedenen Kategorien ankommen. Käme dort ein mehr oder weniger willkürlich zusammengesetzter Strom von Containern an, müssten diese dort sortiert werden – das ist in der Genehmigung aber nicht vorgesehen und wäre aus Platzgründen auch nicht möglich.
Die Lösung: ein neues Logistikzentrum und ein intelligentes Computerprogramm, das bei der Sortierung der Behälter hilft.
Das Logistikzentrum für das Endlager Konrad (LoK) soll auf dem Gelände jenes stillgelegten Kernkraftwerks Würgassen entstehen. Die Idee dahinter: Aus allen Teilen Deutschlands liefern die Zwischenlager ihre Container zunächst dorthin. Im LoK werden sie nach Kategorien sortiert – ähnlich wie in einem Warenlager. Die Stahl-Beton-Halle ist mit Abmaßen von 325 mal 125 mal 16 Metern so großzügig geplant, dass sich die einzelnen Container leicht rangieren und passend zusammenstellen lassen. Hier also soll aus dem Unsortierten das Sortierte werden.
Raschere Endlagerung dank Zweischichtbetrieb
Geplant wird der Abruf vom neuen LoK ins Endlager von einer Software namens KEPLA. Sie berechnet aus dem Platzangebot unter Tage und dem Müllangebot im Logistikzentrum unter Berücksichtigung aller Sicherheitsbedingungen, welcher Container als nächstes im Endlager benötigt wird. Auf dieser Basis können dann individuelle Chargen zusammengestellt und „just in time“ nach Konrad geliefert werden.
Bei einem Einschichtbetrieb würden pro Tag etwa 17 Abfallbehälter nach unter Tage transportiert werden. Bei 200 Einlagerungstagen wären das jährlich rund 3400 Behälter – das entspricht einem Volumen von ungefähr 10 000 Kubikmetern. Dementsprechend wären 30 Jahre nötig, um die Gesamtmenge von gut 300 000 Kubikmetern sicher zu verstauen. Inzwischen geht die BGE von einem zweischichtigen Betrieb aus. Auf diese Weise kann die Betriebsdauer deutlich verkürzt werden – wovon natürlich nicht nur die Region Salzgitter profitiert, sondern auch alle Zwischenlagerstandorte.
Der Transport der sortierten Container vom LoK ins rund 125 Kilometer entfernte Endlager Schacht Konrad erfolgt auf der Schiene. „Der Anschluss ans Gleisnetz war letztlich ein entscheidendes Argument für die Auswahl des Standorts“, berichtet Kranert-Rydzy. „Denn der Transport per Zug ist viel effektiver.“
Die Bundesregierung hatte die BGZ mit der Standortsuche beauftragt. Zwei Jahre lang haben die Expert*innen im Umkreis von 200 Kilometern rund um das Endlager 28 potenzielle Standorte überprüft. Zu den wichtigen Kriterien gehörten neben der Verkehrsanbindung eine ausreichend große Fläche von 30 Hektar und ein Abstand von mindestens 300 Metern zur geschlossenen Wohnbebauung. Naturschutzgebiete durften ebenfalls nicht betroffen sein. Am Ende fiel die Entscheidung für Würgassen. „Der Bahnanschluss wurde zwar vor einigen Jahren stillgelegt, die Reaktivierung ist aber problemlos möglich“, sagt Kranert-Rydzy.
Die Zeit ist knapp
"In dem Logistikzentrum Konrad soll aus dem Unsortierten das Sortierte werden"
Auch der Faktor Zeit spielte bei der Suche eine wichtige Rolle. So schieden Gelände aus, für die erst noch langwierige Grundstücksverhandlungen hätten geführt werden müssen. Denn tatsächlich ist die Zeit knapp bemessen. Das Endlager Konrad soll 2027 fertig gebaut sein und dann zügig in Betrieb gehen. Mit dem ersten Container beginnt die geplante Betriebsphase von etwa 40 Jahren – wovon allerdings einige Jahre für die Stilllegung benötigt werden, also für die Verfüllung des Bergwerks und den vollständigen Rückbau der Anlagen. Das Logistikzentrum in Würgassen soll dafür sorgen, dass dieser Zeitraum optimal genutzt werden kann.
Nachdem auch das unabhängige Darmstädter Öko-Institut e.V. die Auswahl des Standortes bestätigt und das Bundesumweltministerium zugestimmt hatte, erläuterte die BGZ am 6. März 2020 das Projekt erstmals öffentlich. Jetzt konnte es losgehen. Nun sind Baugenehmigung und Umgangsgenehmigung nach Strahlenschutzrecht zu beantragen und einige weitere Nachweise zu erbringen, etwa über die Hochwassersicherheit und Umweltverträglichkeiten. Dass dabei die Öffentlichkeit so transparent wie eben möglich informiert werden soll, ist ein Versprechen der BGZ.
Auf Rückhalt aus der Bevölkerung kann die BGZ nicht bauen. Die Landkreise und Kommunen der Region lehnen das Vorhaben ab und fordern eine neuerliche Suche nach einem Standort. Die lokale Bürgerinitiative „Atomfreies 3-Ländereck e.V.“, die mit der Bekanntgabe der Planungen für das Logistiklager gegründet wurde, führt unter anderem auf, dass die zwingende Notwendigkeit eines solchen Logistikzentrums nicht erwiesen sei. Die BGZ hält dem entgegen, dass eine zügige und kontinuierliche Endlagerung nur mithilfe des Logistikzentrums möglich sei.