Mitarbeiter*innen gewinnen und binden durch Vertrauen und Kommunikation
BGE
von Prof. Dr. Werner Widuckel Artikel
Wie können Unternehmen und Organisationen dem wachsenden Fachkräftemangel begegnen? Was erwarten Mitarbeiter*innen von ihrem Arbeitgeber? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Prof. Dr. Widuckel in seinem Gastbeitrag, den er für den BGE-Geschäftsbericht 2023 verfasst hat.
Zunehmende Arbeitskräfte- und Fachkräfteengpässe üben einen wachsenden Druck auf arbeitgebende Organisationen aus. Die Abdeckung des quantitativen und qualitativen Personalbedarfs wird zu einer schwerwiegenden Herausforderung, weil Personalengpässe oder akuter Mangel sogar noch weiter anzuwachsen drohen. So berichtet die Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für das vierte Quartal des Jahres 2023 einen Umfang von 1,73 Millionen nicht besetzten Stellen.
Blickt man weiter in die Zukunft, so zeigt die 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Bundes und der Länder aus dem Jahr 2022, dass bei einer moderaten Entwicklung von Geburtenhäufigkeit und Lebenserwartung je nach Zuwanderungsniveau bis zum Jahr 2035 das Erwerbspersonenpotenzial (= Bevölkerung Alter 20 bis 66) zwischen 1,6 Millionen und 4,8 Millionen sinken würde. Die reale Erwerbstätigkeit wird allerdings jedoch zusätzlich durch die Erwerbsbeteiligung, die Qualifikation und die Arbeitszeit wesentlich beeinflusst. Hieraus ergeben sich komplexe Zusammenhänge. So weist das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer aktuell veröffentlichten Untersuchung darauf hin, dass das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen zwar gestiegen, die durchschnittlich geleistete Arbeitszeit pro Beschäftigten jedoch gesunken sei. Diese Differenz ist durch eine steigende Erwerbsbeteiligung und eine steigende Teilzeitquote zu erklären, die vor allem Frauen betrifft.
Zwei wesentliche Zielsetzungen
Die angesprochene angespannte Situation führt zu einer teils hektisch geführten Diskussion um Abhilfe, die sich stark um die Arbeitszeit und ihre Ausgestaltung dreht. Hier sei jedoch davor gewarnt, zu schnell auf vermeintliche „Wundermittel” (etwa verlängerte Arbeitszeiten) zu setzen, die mit wenig Aufwand zur Lösung dieser Herausforderung beitragen könnten. Aus der Sicht von arbeitgebenden Organisationen und Beschäftigten sind zwei Zielsetzungen wesentlich:
- Organisationen müssen in einem komplexen Umfeldleistungs- und entwicklungsfähig sein und
- Mitarbeiter*innen suchen attraktive Arbeit zu entsprechenden Bedingungen bei zukunftsfähigen Arbeitgebern mit einer guten Reputation.
Es stellt sich daher die Frage, wie diese beiden Anforderungsperspektiven miteinander verbunden werden können.
Attraktivität und Bindung
Aus der Sicht von Beschäftigten sind die Attraktivität von Aufgaben sowie persönliche Entwicklungsmöglichkeiten als zwei wesentliche Faktoren, um eine arbeitgebende Organisation zu wählen bzw. bei ihr zu bleiben. Diese Faktoren können allerdings im Sinne von Attraktivität und Bindung nur unter der Voraussetzung wirksam werden, sofern die Qualität sozialer Beziehungen und sozialer Unterstützung dazu geeignet sind, eine Vertrauensbasis bei guter Zusammenarbeit zu begründen. Dies betrifft sowohl die Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen als auch zwischen Kolleg*innen. Vor diesem Hintergrund kann ein Unternehmen Leistungsansprüche gut legitimieren, um im Sinne von Gegenseitigkeit auch auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen attraktiver Arbeitsbedingungen und sozialer Beziehungen zu verweisen. Ein zentrales Element dieser gegenseitigen Bindung ist Kommunikation. Durch Kommunikation können gegenseitige Erwartungen verdeutlicht und aufeinander abgestimmt werden. Dies schafft die Grundlage, diese Gegenseitigkeit überhaupt erst sichtbar zu machen und Erwartungsenttäuschungen zu vermeiden.
„Durch Kommunikation können gegenseitige Erwartungen verdeutlicht und aufeinander abgestimmt werden.“
Kommunikation und Bindung
Wo Kommunikation nicht gewährleistet ist, kann keine Bindung entstehen. Dies ist umso wesentlicher, als die Dynamik des Umfeldes von Organisationen und der Lebensbedingungen sowie wechselnder Lebensphasen von Mitarbeiter*innen erfordert, die jeweiligen Erwartungen und Grenzen in bestimmten Abständen immer wieder neu zu justieren und gegenseitig verständlich zu machen. Arbeit ist Teil eines Lebenszusammenhangs von Beschäftigten, der mit berücksichtigt werden muss. Ein sporadischer Austausch reicht hierfür jedoch nicht aus. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei der Gestaltung organisationaler Veränderungen zu, die bis zur grundlegenden Transformation reichen können. Diese Veränderungen gehören heute zum Überlebenskonzept von Organisationen. Derartige Veränderungsprozesse sind aber auch stets eine Probe auf das Vertrauen von Beschäftigten in „ihre” Organisation. Diese Probe kann nur erfolgreich bestanden werden, sofern der Einbeziehung und Beteiligung von Mitarbeiter*innen an diesen Prozessen ein hoher Stellenwert in der Praxis beigemessen wird. Ein Veränderungs- bzw. Transformationsmanagement, das sich lediglich auf die Verkündung von Zielen und die Einforderung von Loyalität beschränkt, schafft eine Distanz zwischen Mitarbeiter*innen und Führung, die zu Lasten der Qualität der Bindung und der sozialen Beziehungen geht und sich motivational negativ auswirkt.
Der Faktor "lebenslanges Lernen"
„Erwerbsarbeit wird immer stärker zu einem kontinuierlichen Lernprozess, der mit der Arbeitsleistung direkt verwoben ist.“
Eine auf Langfristigkeit orientierte Bindung von Mitarbeiter*innen muss demgegenüber im Kontext von dynamischen Veränderungsprozessen zwei Faktoren besonders berücksichtigen: Der erste Faktor betrifft das lebenslange Lernen. Erwerbsarbeit wird immer stärker zu einem kontinuierlichen Lernprozess, der mit der Arbeitsleistung direkt verwoben ist. Arbeit ist damit nicht nur auf die Erreichung von Leistungszielen gerichtet, sondern auch auf die Generierung von Wissen und dessen Weitergabe sowie Weiterentwicklung. Kompetenzen, Qualifikationen und Expertise werden hierdurch in einem wachsenden Umfang zu Merkmalen des Arbeitsvermögens von Beschäftigten, die mit der Erwartung von Anerkennung und mit dem Anspruch an Leistungsgerechtigkeit verbunden sind. Dieser Wandel von Arbeit und seine Folgen ist zusätzlich mit einer Zunahme von Diversität in der Sozialstruktur von Belegschaften verbunden. Das Management von Diversität wird deshalb zu einer wesentlichen Anforderung zur Gestaltung von Bindungsfähigkeit einer Organisation gegenüber ihren Beschäftigten.
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden: Die Leistungsansprüche und Bindungsinteressen von arbeitgebenden Organisationen können durchaus mit den Entwicklungserwartungen und Bedürfnissen von Beschäftigten in Einklang gebracht werden. Dies bedarf allerdings einer bewussten Gestaltung der Beziehung zwischen Mitarbeiter*innen und Organisationen, die eine Integration beiderseitiger Erwartungen und Ansprüche herstellt. Dies erfordert auch, hierfür ausreichend Ressourcen zu investieren. Diese Gestaltung müsste jedoch scheitern, sofern die hierfür erwartete Gegenseitigkeit nicht beachtet würde. In diesem Fall bestünde die Gefahr, dass Mitarbeiter*innen die Organisation verlassen oder Organisationen sich von Mitarbeiter*innen trennen wollen. Was im Einzelnen diese Gegenseitigkeit ausmacht, muss in jeder Organisation spezifisch durch Kommunikation ermittelt werden, ein Patentrezept kann hier leider nicht geliefert werden. Diese herausfordernde Situation bietet aber auch Chancen einer positiven Differenzierung von Arbeitgeber*innen gegenüber den Beschäftigten von heute und morgen, die die Grundlage für eine stabile und vertrauensvolle Beziehung liefert.