Wozu Bürgerbeteiligung? – Im Gespräch mit Frank Brettschneider
Interview
Bei der Suche nach einem geeigneten Endlagerstandort sollen Bürger*innen intensiv eingebunden werden. Ein Gespräch mit dem Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider
Frank Brettschneider lehrt Kommunikation an der Universität Hohenheim.
Zu seinen Schwerpunkten zählen das Kommunikationsmanagement, die Verständlichkeitsforschung und die politische Kommunikation.
Im März 2021 veröffentlichte er eine Studie über „Bürgerbeteiligung“
Einblicke:Herr Brettschneider, wie kann sichergestellt werden, dass die Beteiligung der Menschen ernst genommen und ein Erfolg wird?
Frank Brettschneider: Die Auswahl des bestmöglichen Endlagers für hochradioaktive Abfälle ist ein langwieriger Prozess, bei dem wir noch ziemlich am Anfang stehen. Was sich schon jetzt sagen lässt: Das vorgesehene Verfahren ist genau richtig, weil es reinen Tisch macht und auf maximale Transparenz und Offenheit setzt. Politik und Behörden haben in den vergangenen Jahrzehnten oft Fehlinformationen von sich gegeben, und mit dieser Hypothek geht es jetzt in die Gespräche. Die Fehler sind ein Ballast. Sie dürfen nicht totgeschwiegen werden. Und schon gar nicht dürfen sie sich wiederholen. Vertrauen ist schnell zerstört – und es dauert lange, es aufzubauen. Genau das kann dieses Verfahren jetzt leisten.
Wie kann dieser Vertrauensaufbau gelingen?
Mit Glaubwürdigkeit, die ist ganz entscheidend. Es muss deutlich werden, dass alle Akteure mit offenen Karten spielen. Alle Informationen müssen jederzeit allen Interessierten zugänglich sein. Wie gesagt: maximale Transparenz und Offenheit. Denn entscheidend für die Akzeptanz des Ergebnisses ist die Glaubwürdigkeit des Verfahrens.
BGE und BASE als staatliche Institutionen müssen also regelmäßig informieren?
Das allein reicht nicht aus. Information darf keine Einbahnstraße sein. Es geht darum, in einen Dialog zu kommen. Es heißt für die Wissenschaft, die Verwaltung und die Politik, den Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören und sich mit dem Gesagten auseinanderzusetzen.
Reicht das schon aus für die vielerorts geforderte Bürgerbeteiligung?
Bürgerbeteiligung heißt nicht, dass die Bevölkerung entscheidet. Das wäre direkte Demokratie. Die Entscheidung liegt also bei den gewählten Abgeordneten, und damit ist die Mehrheit der Menschen hierzulande auch völlig einverstanden. Unter einer Bedingung: Sie wollen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Und das erfordert sowohl von der Wissenschaft als auch von der Verwaltung, ihre Rollen zu überdenken.
Was muss die Wissenschaft anders machen?
Die Rolle der Wissenschaft in diesem Prozess besteht darin, auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger zu antworten. Und zwar so, dass diese verstehen, was gesagt wird. Hier hat die Wissenschaft noch einiges zu lernen. Sie muss Expertensprache in eine für Laien verständliche Sprache übersetzen. Auch Visualisierungen helfen, komplexe Sachverhalte anschaulich darzustellen. Denn Verständnis ist die Voraussetzung dafür, Informationen nachvollziehen zu können. Und nur dann kann Akzeptanz entstehen.
Und wo ist die Verwaltung gefordert?
Für Behörden ist es anstrengend, dieses aufwendige Verfahren der Standortauswahl über den gesamten Zeitraum offen und transparent zu halten. Behörden haben ein anderes Vorgehen gelernt: Der Prozess findet komplett intern statt, und erst die gefundene Lösung wird der Öffentlichkeit vorgestellt. Das muss hier anders laufen. Dieses Rollenverständnis im Dialog müssen viele Verwaltungen erst noch verinnerlichen.
Die Suche nach einem Endlagerstandort soll wissenschaftlich so solide sein, dass die Ergebnisse unumstößlich sind. Ist das überhaupt möglich?
Es ist der einzig mögliche Weg. Die Auswahl des Standortes wird nur akzeptiert werden können, wenn die Wissenschaft überzeugende Argumente dafür liefert ...
„Wenn die Ministerpräsidenten Markus Söder oder Bodo Ramelow sagen: ‚Kein Endlager in Bayern‘ oder ‚Kein Endlager in Thüringen‘, dann diskreditiert das den gesamten Prozess“
… und wenn ihren Ergebnissen geglaubt wird.
Da habe ich keine Sorge. Wir haben Anfang des Jahres eine repräsentative bundesweite Umfrage durchgeführt. Darin ging es unter anderem um das Vertrauen, das Menschen Institutionen entgegenbringen. Die Wissenschaft lag ganz klar auf dem ersten Platz – noch vor Gerichten und der Polizei. Ja, es gibt 10, vielleicht 15 Prozent der Bevölkerung, die wissen immer alles besser, aber damit kann – und muss – man leben. Alle wird man nie überzeugen. Man braucht allerdings eine breite Basis.
Dafür muss die Standortauswahl sauber erfolgen. Das ist die Aufgabe für die BGE und für das BASE als Träger des Verfahrens. Es ist aber ein Problem, wenn der Prozess aus der Politik heraus unterminiert wird. Wenn die Ministerpräsidenten Markus Söder oder Bodo Ramelow sagen: „Kein Endlager in Bayern“ oder „Kein Endlager in Thüringen“, dann diskreditiert das den gesamten Prozess. Er wird dann als politischer Prozess wahrgenommen und nicht als eine nach wissenschaftlichen Kriterien ablaufende, objektive Auswahl. Auch erscheint der Prozess dann nicht mehr ergebnisoffen. Genau das ist aber der Kern des gesamten Verfahrens.
Derzeit kommen angeblich 54 Prozent der bundesdeutschen Fläche als Standort infrage. Das ist doch unrealistisch!
Es kommen nicht 54 Prozent infrage. Sondern 54 Prozent können derzeit noch nicht sicher ausgeschlossen werden. Das ist ein Unterschied. Das ganze Verfahren geht ja schrittweise vor: ein Trichter, in dem oben viel reinkommt – ganz Deutschland –, und am Schluss kommt idealerweise der bestmögliche Standort für ein Endlager heraus. Daher ist es wichtig, die Abläufe wieder und wieder zu erklären. Im bisherigen Schritt ist kein einziger Fakt originär erhoben worden, sondern der Zwischenbericht aus dem September 2020 geht von der Aktenlage aus. Auf der Basis wurde etwa die Hälfte der Fläche in Deutschland ausgeschlossen. Zum Teil gibt es präziseres Datenmaterial, das bewusst noch nicht eingeflossen ist – ausgewertet wird es im nächsten Schritt, der jetzt ansteht. Und dann wird wieder weniger Fläche übrig bleiben. Anschließend erfolgen Erkundungen, in denen neue Daten erhoben werden. Und dann wird wieder weniger Fläche übrig bleiben. Eigentlich ein ganz einleuchtendes und nachvollziehbares Vorgehen.
Mindestens zehn Jahre wird es noch dauern, bis das Ergebnis der Standortauswahl feststeht. Fordert dieser Zeitraum allen Beteiligten etwas zu viel langen Atem ab?
Ja, aber so ist es eben. Die Datenlage lässt nicht mehr zu. Und auch die Bevölkerung würde ein Hauruck-Verfahren nicht akzeptieren – völlig zu Recht. Die BGE muss also – wir kommen immer wieder auf den Kern – für ein transparentes und offenes Verfahren sorgen, das sauber durchgezogen wird. Das erfordert Mut, denn es bedeutet, sich einzulassen auf ein vorläufiges und damit unvollständiges Wissen. Und es bedeutet, dieses unvollständige Wissen offen zu kommunizieren.
Egal wie transparent und wissenschaftlich valide das Verfahren durchgezogen wird: Sobald am Ende ein Standortname feststeht, wird sich Widerstand vor Ort regen.
Die Verfahrensakzeptanz ist immer höher als die Ergebnisakzeptanz. Niemand will ein Endlager in seinem Vorgarten – schon weil vermutet wird, dass es den Wert des eigenen Hauses mindert. Das wird aber selten ausgesprochen. In der Praxis sorgt das für Eiertänze, weil stattdessen Ersatzdiskussionen geführt werden. Dabei sind solche Vorbehalte völlig legitim, dafür sollte niemand in die Ecke gestellt werden.
Wie also umgehen mit legitimen Vorbehalten?
Das beste Vorgehen, um solche Vorbehalte in eine Perspektive zu setzen, ist die Frage: Wozu das Ganze? Das Gemeinwohl muss erkennbar werden – auch für die Bürgerinnen und Bürger mit legitimen Vorbehalten. Sobald beispielsweise Profitinteressen von Unternehmen ins Spiel kommen, wird es schwierig mit dem Gemeinwohl. Aber dass wir die hochradioaktiven Abfälle, die in Deutschland produziert wurden, auch irgendwo lagern müssen, und zwar so sicher wie möglich, das ist Konsens. Irgendwo muss das Zeug halt hin.
Die Fragen stellte Michael Prellberg