„Wir machen hier jetzt den Innenausbau“

von Joachim Schüring Artikel

Auf den Baustellen über und unter Tage nimmt das Endlager Konrad Gestalt an. Ein Besuch vor Ort.

Im Licht der Scheinwerfer wirken die Maschinen, als seien sie Teil einer Kulisse für einen Science-Fiction-Film – hier die rotierenden, mit mächtigen Zähnen bewehrten Fräsköpfe der Teilschnittmaschine, dort fauchend und alles in einen diffus leuchtenden Nebel hüllend die Spritzbetonmaschine. Trotz des Lärms strahlen die unwirklich anmutenden Szenen eine seltsam entspannte Ruhe aus. Es ist die Routine. Die wenigen Menschen, die man hier unten trifft, stehen gelassen, aber konzentriert neben ihren Maschinen. Über ein Kabel mit ihnen verbunden, treiben sie sie mit dem Joystick langsam voran.

„Die Ausbaulogistik hat sich eingespielt“, so beschreibt Andreas Graupner eher nüchtern die Lage. Der 44-jährige Bauleiter und Projektingenieur ist hier unten, rund 1000 Meter unter dem weithin sichtbaren Förderturm von Konrad 1, für den geordneten Lauf der Dinge zuständig. Aus dem ehemaligen Erzbergwerk wird ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle.

Graupners Arbeit hat etwas von der eines Jongleurs, der ziemlich viele Bälle in der Luft halten muss. Er sieht zu, dass der Abraum heraus- und sämtliches Material für den Ausbau zur rechten Zeit herangeschafft wird. Er ist für die Instandhaltung der Schächte verantwortlich und muss stets wissen, wer wann wo eingesetzt wird. Überdies koordiniert er die vielen hoch spezialisierten Unternehmen, die im Auftrag der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mit dem Bau von Strecken und Hohlräumen unterwegs sind.

Das ist für eine Großbaustelle zunächst nichts Außergewöhnliches. Doch diese Großbaustelle liegt tief unter der Erde. Sie ist vor allem deshalb eine logistische Meisterleistung, weil es derzeit nur einen Schacht gibt, über den all die kleinen und großen Fahrzeuge, die zig Kilometer langen Rohrleitungen für die Frischluftzufuhr und die unzähligen anderen Gerätschaften in die Tiefe befördert werden. Alles fährt portionsweise, in Einzelteile zerlegt, wie durch ein Nadelöhr nach unter Tage, wo es in großen Werkstätten wieder zusammengebaut wird. Was später nicht mehr gebraucht wird, muss erneut zerlegt und zurück zur Erdoberfläche geschickt werden. Rund 30-mal geht es jeden Tag mit dem Fahrkorb rauf und runter.

Im Moment benötigen sie insbesondere Beton da unten. Denn die unterirdischen Hohlräume – die Strecken, Werkstätten, Umladestationen beispielsweise – sind weitgehend hergestellt. „Wir machen hier jetzt den Innenausbau“, sagt Graupner und führt uns in eine Strecke, deren Wände dicht an dicht mit bis zu 18 Meter langen Stahlankern gesichert sind. Die Anker sind vergleichbar mit überdimensionalen Dübeln. Meter für Meter bedeckt die Spritzbetonmaschine die herausragenden Ankerköpfe. Sind diese Arbeiten erledigt, werden die Fahrbahnen gebaut. Im Jahr 2027 wollen sie fertig sein mit dem Ausbau des Bergwerks zum Endlager. In ein paar Jahren fühlt sich das dann im Auto an, als führe man durch einen Alpentunnel.


Noch stehen die Abfälle in oberirdischen Zwischenlagern


Es geht weiter zum sogenannten Füllort, dem zentralen Umschlagplatz in 850 Metern Tiefe. Über uns der sieben bis neun Meter durchmessende Schacht Konrad 2, der bis an die Erdoberfläche führt und derzeit von einer Stahlplatte verschlossen ist. Durch ihn sollen nach der Inbetriebnahme des Endlagers die Behälter mit den schwach- und mittelradioaktiven Abfällen für immer im Endlager verschwinden. Hier unten werden sie in Empfang genommen und auf eigens für dieses Endlager konstruierte Transportfahrzeuge geladen. Sie bringen die Fracht über die letzten ein bis zwei Kilometer ihrer Reise quer durch Deutschland in die Einlagerungskammern. Derzeit befinden sich die Abfälle in Tausenden von Behältern in etwa 35 Zwischenlagern, die über die ganze Republik verteilt sind.

Das finale Ziel der Behälter ist eine der sechs bereits gebauten Einlagerungskammern. 19 weitere werden nach dem Einlagerungsbeginn noch gebaut. Diese Kammern sind 7 Meter breit, 6 Meter hoch und zwischen 400 und 1040 Meter lang. Ab 2027 sollen diese peu à peu von hinten nach vorne befüllt werden. Grob geschätzt werden etwa 20 bis 30 Jahre vergehen, bis die gut 300 000 Kubikmeter Atommüll sicher verstaut sind.


2027 wollen sie fertig sein mit dem Umbau des Bergwerks zum Endlager

Es dauert einige Minuten, bis der Förderkorb im Schacht Konrad 1 aus einem Kilometer Tiefe wieder die Erdoberfläche erreicht. Hier sind Rüdiger Degner und Victoria Schettler das, was Andreas Graupner unter Tage ist: verantwortlich. Verantwortlich dafür, dass Konrad 1 und Konrad 2 in sechs Jahren über die Infrastruktur für einen reibungslosen Betrieb des Endlagers verfügen. Sie haben jede einzelne Baustelle im Blick – Degner auf Konrad 1 und Schettler auf Konrad 2.

Konrad 1 verrät sich durch das weithin sichtbare, rund 60 Meter hohe und unter Denkmalschutz stehende Fördergerüst. Hier kam einst das Eisenerz ans Tageslicht. Und hier bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. „Nahezu alle Gebäude wurden neu gebaut“, erzählt Fachbauleiter Rüdiger Degner, „und zwar im Stil der Originalbauten aus den 1960er-Jahren in Ziegeln und Stahlfachwerk.“ Gerade wurden im Rahmen einer Ausschreibung die Arbeiten für die Werkstatt, eine Löschwasserzentrale und eine Tankstelle vergeben, im Sommer 2023 soll alles fertig sein.

Dass dieser Plan aufgehen kann, ist auch einem Computermodell zu verdanken. „Das kann man sich wie ein dreidimensionales Abbild des echten Gebäudes vorstellen“, sagt Degner und beschreibt, wie sich die Architekt*innen, Ingenieur*innen und Bauunternehmen mithilfe des Modells gemeinsam und frühzeitig auf die reale Umsetzung vorbereiten konnten. Das sparte bereits in der Planungsphase viel Zeit.


Gesetzlich komplizierte Gemengelage


Von Konrad 1 aus werden im Endlagerbetrieb Menschen und Material nach unter Tage gebracht. Außerdem gelangt über Schacht 1 die frische Luft ins Bergwerk, die für Mensch und Maschine benötigt wird. Die eigentliche Einlagerung der radioaktiven Abfälle beginnt hingegen knapp eineinhalb Kilometer südsüdöstlich davon, am Schacht Konrad 2. „Hier ist das Bauen weitaus komplexer“, sagt Projektingenieurin Victoria Schettler, „weil wir hier baurechtliche, bergrechtliche und atomrechtliche Auflagen erfüllen müssen.“ Denn hier auf Konrad 2 werden sie in sechs Jahren direkt mit den radioaktiven Abfällen zu tun haben. Hier werden die Züge oder Lkw mit den Behältern ankommen, die momentan noch in den Zwischenlagern stehen oder beim Abriss der Atomkraftwerke in den kommenden Jahren anfallen.

„Sie sehen hier noch nicht viel“, sagt Schettler und fügt hinzu: „Obwohl die Hälfte der Arbeit auf Konrad 2 schon gemacht ist.“ Wie sie das meint, wird klar, wenn sie die komplizierte Kombination aus Bau-, Berg- und Atomrecht beschreibt – eine ganz besondere Gemengelage, die das Projekt Konrad 2 so aufwendig macht. Anfangs ging es da beispielsweise um die Klärung der Zuständigkeiten des Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) und des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Zu den viel diskutierten Fragen gehörte etwa: „Wer prüft eigentlich die Planungsunterlagen“ – in diesem Fall einigte man sich darauf, dass das LBEG die bergrechtlichen Prüfungen vor Ort unternimmt und das BASE diese nach atomrechtlichen Maßgaben bewertet. „So ein Endlager hat bisher ja noch niemand errichtet“, beschreibt Schettler die Situation. „Am Anfang mussten erst mal die Handlungsrahmen dieser Rechtsgebiete aufeinander abgestimmt werden.“


„So ein Endlager hat bisher ja noch niemand errichtet“ Victoria Schettler, BGE

Beim Bau der Schachtförderanlage Konrad 2 wird diese bisweilen komplizierte Gemengelage besonders deutlich. Der 42 Meter hohe Förderturm wird nach baurechtlichen Regeln errichtet, beim Bau der Schachtröhre und der Förderanlage kommen auch berg- und atomrechtliche Maßgaben ins Spiel. Allein die Unterlagen zu dieser einen Anlage umfassen rund 100 000 Seiten. Aus gutem Grund: Der Umgang mit radioaktiven Abfällen erfordert Sorgfalt, um Sicherheit zu erreichen. Jeder Schritt unterliegt überdies der internen Qualitätssicherung. Deshalb sieht man auf der Baustelle selber derzeit (noch) nicht so viel – obwohl die Hälfte der Arbeit bereits getan ist.


Nicht alles ist planbar


Besonders herausfordernd ist dabei – natürlich – der Strahlenschutz. „Und der hat manchmal eben auch seine Tücken“, sagt Schettler. Dann erzählt sie von der Umladehalle und ihrer Besuchergalerie. Von dort aus soll ein Blick ins Innere der Halle möglich sein, wo die Transporte der Behälter nach unter Tage vorbereitet werden. Eine gute Idee, um Transparenz zu schaffen. Doch müssen die Glasfenster abschirmende Eigenschaften aufweisen. Da diese aber in der geplanten Größe gar nicht lieferbar sind, muss die Planung angepasst werden. Anderes Beispiel: Die Bodenbeschaffenheit unterhalb der Umladehalle war im Sinne der Erdbebensicherheit neu zu bewerten. Das war nicht geplant und kostete mehrere Monate Zeit.

Auf dem Weg zur Inbetriebnahme gab und gibt es viele große und kleine Hürden zu nehmen, manche davon bei einem Projekt dieser Größenordnung zwar vorhersehbar, aber leider kaum vorab zu planen. So wie jene Klage eines Unternehmens, das bei einer europaweiten Ausschreibung nicht zum Zuge kam und die Entscheidung vor Gericht klären ließ. Auch Schettler gehört zu den Jongleur*innen, die viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten müssen.

Doch nun geht es auch auf der Baustelle von Konrad 2 richtig los: Betriebsgebäude werden gebaut und Baugruben für Lüftergebäude und Umladehalle ausgehoben. Die Grubenwasserübergabestation wird als erstes Gebäude nach kerntechnischem Regelwerk gebaut. „In den kommenden Monaten und Jahren wird das hier eine Großbaustelle werden“, sagt Schettler. Ab 2023 herrsche hier Hochbetrieb (siehe S. 14/15).

Fördergerüst von 1959
Verena Brüning
Das rund 60 Meter hohe Fördergerüst wurde 1959 errichtet und steht unter Denkmalschutz. Die neuen Gebäude werden sich architektonisch an den bestehenden orientieren

Wer 2027 im Blick hat, muss auch einen Blick zurück in die Vergangenheit werfen. Vier Jahrzehnte sind bereits vergangen, seit Geowissenschaftler*innen und Ingenieur*innen grünes Licht gegeben hatten: Das ehemalige Eisenerzbergwerk ist aus fachlicher Sicht für die Endlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen mit vernachlässigbarer Wärmeabgabe geeignet. 2002 erging zunächst der Planfeststellungsbeschluss, der so etwas wie die Baugenehmigung ist. Dann prüften nochmals die Gerichte. Seit 2008 wird das Endlager gebaut. Der ursprüngliche Termin für die Inbetriebnahme hatte sich bereits früh als nicht erreichbar erwiesen. Unter anderem, weil es immer wieder unerwartete Schwierigkeiten bei den Bauarbeiten unter Tage gab. 2018 legten sich externe Gutachter*innen schließlich auf das Jahr 2027 fest. Und dabei soll es nun auch bleiben.

Oder nicht? Gerade dieser lange Zeitraum ist für ein Bündnis aus Stadt Salzgitter, Landvolk, IG Metall und regionalen Umweltverbänden nämlich ein Grund, die Einstellung aller Arbeiten am Endlager zu fordern. Das Projekt Konrad sei nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik nicht mehr genehmigungsfähig, sagen die Kritiker*innen.


Die Sache mit dem Stand der Technik


Tatsächlich stammt der Planfeststellungsbeschluss – die „Baugenehmigung“ – aus dem Jahr 2002. Und natürlich entwickeln sich wissenschaftliche Erkenntnisse und technischer Fortschritt stetig weiter – was bei der Umsetzung von Großprojekten grundsätzlich zu berücksichtigen ist. Auch und vor allem im Fall des Endlagers Konrad. 2016 startete daher eine „Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen für das Endlager Konrad“, kurz: ÜsiKo. Im Rahmen dieses Verfahrens prüfen Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen, ob es aus heutiger Sicht sicherheitsrelevante Bedenken gibt, die damals, vor 20 Jahren, noch nicht erkannt werden konnten.

Noch ist die ÜsiKo nicht abgeschlossen. Nach dem Ende der ersten Phase dieses Verfahrens 2020 stellten die Expert*innen einen Katalog mit sicherheitsrelevanten Fragen vor, die intensiver betrachtet werden sollen. Falls nötig, werden einzelne Planungen und Baumaßnahmen aufgrund neuer Erkenntnisse angepasst. Grundsätzliche Bedenken wegen der Sicherheit des Endlagers Konrad ergeben sich aus Sicht der Expert*innen aber nicht.


Der Autor

Joachim Schüring ist Geologe und Wissenschaftsjournalist. Er leitet den Berliner Standort der ZEIT-Tochter Tempus.

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