Warm hier drin
Im Zwischenlager Unterweser
von Alexandra Endres Artikel
Die ausgebrannten Brennstäbe eines Kernkraftwerkes sind hochradioaktiv. Für sie gelten aufgrund ihrer hohen Aktivität strengere Sicherheitsanforderungen als für schwach- und mittelradioaktive Stoffe – Abfälle aus dem Rückbau der Atomkraftwerke wie kontaminierte Putzlappen, Schutzkleidung und Werkzeuge.
In der Halle, in der die Castoren stehen, zieht es. 40 tiefblaue stählerne Sicherheitsbehälter stehen aufgereiht in der hinteren Hälfte des Raumes. Sie sind knapp sechs Meter hoch und haben einen Außendurchmesser von fast 2,5 Metern. Schon im leeren Zustand wiegt jeder einzelne von ihnen über 100 Tonnen. Ein nummeriertes Raster auf dem Boden zeigt an, wo sie hingestellt werden dürfen. 40 Plätze sind noch frei.
Die Halle gehört zum Brennelemente-Zwischenlager Unterweser. In den Castoren befinden sich 720 hochradioaktive Brennelemente. Auch Jahre nach ihrem Einsatz im benachbarten Kernkraftwerk geben sie noch Wärme ab. Sie entsteht infolge weiter ablaufender radioaktiver Zerfallsprozesse im Inneren der Behälter.
Radioaktiver Abfall ist nicht gleich radioaktiver Abfall, das wird bei einem Besuch in Unterweser klar. Welche Unterschiede es gibt, wie die verschiedenen Abfälle gelagert werden, was beim Umgang mit ihnen beachtet werden muss und wie weit der Weg bis zur Endlagerung teilweise noch ist: Davon bekommt man hier einen Eindruck.
Der Standort ist einer von insgesamt 16 auf dem Gebiet der früheren Bundesrepublik, an denen die BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung radioaktive Abfälle so lange einlagert, bis ein Endlager für sie zur Verfügung steht. Daneben gibt es an verschiedenen Standorten weitere Zwischenlager für den Atommüll der ehemaligen DDR und von Kernforschungszentren der gesamten Bundesrepublik. Am BGZ-Standort Unterweser wird schwach-, mittel- und hochradioaktiver Abfall aufbewahrt. Was in den Castoren steckt, ist hochradioaktiv. Solche Abfälle müssen unter besonders strengen Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt werden.
Temperaturkontrolle
Stephan Thode, stellvertretender Leiter und Strahlenschutzbeauftragter des Standortes, zeigt nach oben zur Hallendecke, wo schräg gestellte Lüftungsklappen zu erkennen sind. Sie lassen die aufsteigende Wärme entweichen. „Über den Castoren müssen die Klappen immer offen stehen“, sagt Thode. Mithilfe von Seilzügen lässt sich die Öffnung der Luken regulieren. Messgeräte unter der Decke überprüfen ständig die Temperatur in der Halle. Routinemäßig wird außerdem die radioaktive Strahlung im Brennelementelager überprüft, um so nachzuweisen, dass sie unter den gesetzlichen Grenzwerten bleibt.
In den beiden Abfall-Zwischenlagern Unterweser 1 und 2 (AZU 1 und AZU 2) befinden sich schwach- und mittelradioaktive Stoffe aus dem benachbarten Kernkraftwerk, das 2011, kurz nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima, vom Netz genommen wurde. Das können Filter, Putzlappen, Schutzkleidung oder Werkzeuge und Abfälle aus dem Rückbau des Kernkraftwerkes sein.
Auch sie müssen kühl, trocken und von der Umwelt abgeschirmt aufbewahrt werden. Zu diesem Zweck werden sie ebenfalls in besondere Behälter gefüllt. Aber es sind keine Castoren. Im AZU 2 lagern die Abfälle in rund 200 „Mosaik“-Behältern, sonnengelben Fässern aus Gusseisen und Kugelgraphit, und grauen, quaderförmigen Konrad-Containern in unterschiedlichen Größen. Manche von ihnen müssen noch mit Bauschutt oder Beton aufgefüllt werden. Aber abgesehen davon könnten sie so, wie sie hier stehen, bereits in ein Endlager gebracht werden. Voraussetzung dafür ist, dass für jedes einzelne Gebinde eine entsprechende Genehmigung der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) vorliegt.
Fachleute sagen: Sie sind bereits fürs Endlager konditioniert. Die knapp 2000 Fässer im älteren AZU 1 hingegen sind das noch nicht. Sie müssen unter anderem in endlagerfähige Behälter umgehoben werden, die dann ebenfalls mit Beton aufgefüllt werden.
Eine Frage der Wärme
Derzeit wird das ehemalige Eisenerzbergwerk Konrad in Niedersachsen zum Endlager für die schwach- und mittelradioaktiven Stoffe umgebaut. Andere Länder unterscheiden zum Teil zwischen kurz- und langlebigen Abfällen. Kurzlebiger Abfall wird dort anders als bei uns oberflächennah gelagert. „Man hat sich in Deutschland schon früh entschieden, für alle Arten von radioaktiven Abfällen Endlager in tiefen geologischen Schichten einzurichten“, sagt Kai Möller, Abteilungsleiter Abfalldaten und Abrufvorbereitung bei der BGE. „Der Grund dafür war die größere Sicherheit.“ Dass die Endlagerung damit auch teurer und aufwendiger werde, nehme man in Kauf.
Daraus ergibt sich, dass in Deutschland der radioaktive Abfall vor allem nach einem einzigen Kriterium getrennt wird: Entwickelt er viel Wärme oder nicht?
„International ist die Klassifizierung teilweise deutlich komplizierter“, erklärt Möller. „Frankreich beispielsweise plant verschiedene Arten von oberflächennahen Endlagereinrichtungen. Da muss man den Müll ganz anders sortieren.“ In Deutschland gilt: Schwach- und mittelradioaktive Abfälle entwickeln nur noch in einem vernachlässigbaren Ausmaß Wärme. Hochradioaktiver Abfall hingegen entwickelt so viel Wärme, dass das Endlagergestein beeinflusst werden kann. Dafür muss das Endlager ausgelegt sein.
„Auch im Brennelemente-Zwischenlager Unterweser ist alles darauf ausgerichtet, die von den Castoren ausgehende Wärmeleistung zu begrenzen“, sagt Stephan Thode. Das beginnt schon in den Behältern selbst. In ihnen werden die Brennelemente in einem Tragekorb eingelegt, der so konstruiert ist, dass die einzelnen Brennelemente einander nicht zu nahe kommen. Welches Brennelement an welche Stelle kommt, richtet sich nach seiner noch verbleibenden Aktivität, und die hat unter anderem mit seiner früheren Position im Reaktor zu tun. Zugleich sollen die Brennelemente möglichst platzsparend auf die Castoren verteilt werden. Der Strahlenschutzingenieur Thode vergleicht die Aufgabe, die Castoren zu bestücken, mit dem Spiel Tetris.
Dabei hat er selbst damit nichts zu tun – das ist Aufgabe des Energieversorgers PreussenElektra, der den Reaktor nebenan betrieben hat und jetzt zurückbaut. Erst wenn die Castoren voll und dicht verschlossen sind, werden sie über Schienen ein paar Hundert Meter weiter ins Zwischenlager transportiert. Ab dann ist die BGZ verantwortlich.
Kaum vorstellbare Zeiträume
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) geht davon aus, dass nach dem Abschalten aller Kernkraftwerke in Deutschland 27 000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfälle in rund 1900 Behältern übrig bleiben werden. Volumenmäßig ist das wenig im Vergleich zu den schwach- und mittelradioaktiven Abfällen. Doch auf die hochradioaktiven Stoffe entfallen 99 Prozent der gesamten Radioaktivität des deutschen Atommülls – Strahlung, die noch für Hunderttausende von Jahren Mensch und Umwelt gefährden kann.
Das sind kaum vorstellbare Zeiträume, und ein Endlager für den hochradioaktiven Abfall ist noch nicht gefunden. Die Endlagersuche wurde 2017 neu gestartet – bis ein Endlager gebaut und betriebsbereit ist, werden noch Jahrzehnte vergehen. Doch die Zwischenlager der BGZ sind nur für jeweils 40 Jahre genehmigt. Die Genehmigung für das Zwischenlager in Gorleben läuft bereits im Jahr 2034 aus.
Was dann? Allein der Transport der Abfälle zu einem zentralen Endlager werde mindestens 20 Jahre dauern, sagt Michael Hoffmann, Bereichsleiter Betrieb bei der BGZ. „Das ist nicht mehr zu schaffen, bevor die aktuellen Genehmigungen der Zwischenlager auslaufen.“ Deshalb arbeitet die BGZ daran, ihre Genehmigungen verlängern zu lassen. Zu diesem Zweck erforscht sie, wie ihre Zwischenlager und die Abfälle selbst altern: die Gebäude, die Behälter für die Abfälle, deren Dichtungen und Inhalt. Die hochradioaktiven Abfälle zu untersuchen, sei die größte Herausforderung, sagt Hoffmann – schließlich wolle man die Castoren für die Analysen nicht ohne zwingenden Grund öffnen. „Reinzuschauen setzt den, der das tut, einer Strahlendosis aus“, sagt Hoffmann. „Das wollen wir gerne vermeiden.“
„Allein der Transport der Abfälle zu einem zentralen Endlager wird mindestens 20 Jahre dauern“
Verlängerung nicht ausgeschlossen
„Spätestens wenn man die Behälter wieder anhebt, umhebt und abtransportiert, um sie ins Endlager zu bringen, sollte man genau wissen, was sich in ihnen befindet“
Julia Neles vom Öko-Institut stellt fest, dass es bislang noch keine klaren Richtlinien gibt, nach denen die Genehmigungen für die Zwischenlager verlängert werden können. Rein technisch geht sie davon aus, dass die Abfälle auch über die ursprüngliche Genehmigungsdauer hinaus gelagert werden können – aber eben nicht unbegrenzt lange. „Spätestens wenn man die Behälter wieder anhebt, umhebt und abtransportiert, um sie ins Endlager zu bringen, sollte man genau wissen, was sich in ihnen befindet, wie der Inhalt sich über die Jahre hinweg verhalten hat und was in Bewegung mit ihnen passieren kann.“
Wie lange es bis dahin noch dauern wird, wissen auch die Zwischenlager- und Endlagergesellschaften des Bundes noch nicht. Die BGZ forscht deshalb, etwa zur Haltbarkeit der Brennelemente und zu möglichen Problemen bei ihrer Entnahme aus den Castoren. Und die BGE verfolgt deshalb nicht nur die Aufgabe der Endlagersuche. Sie stellt auch alle bekannten Daten zu den Abfällen zusammen, um eine Datenbank damit zu befüllen.
Zunächst müssen die häufig noch auf Papier festgehaltenen Dokumentationen digitalisiert werden. Die Abfalldatenbank ist eine wichtige Voraussetzung für die Langzeitsicherheitsbetrachtungen für das geplante Endlager, das die bestmögliche Sicherheit für eine Million Jahre bieten soll. Nur wer im Detail weiß, welche Abfälle eingelagert werden sollen, kann berechnen, wie sie sich über Jahrtausende verändern werden. Und entscheiden, in welche Behälter sie verpackt werden müssen, um endlagerfähig zu sein. Das hängt auch ganz stark davon ab, in welchem Wirtsgestein das Endlager sein wird: Tongestein, Steinsalz, Kristallingestein? Für jede Variante entwickelt die BGE gerade ein Endlagerkonzept.