„Stehen wir zu unserem Wort?“
Interview mit Steffi Lemke
von Michael Prellberg Interview
Wer Vertrauen aufbauen will, muss glaubwürdig sein: Als Umweltministerin möchte Steffi Lemke die Endlagersuche so transparent und verlässlich wie möglich vorantreiben. Umso mehr stört sie die Debatte um die Laufzeitverlängerungen von Atommeilern.
Einblicke: Das Misstrauen sitzt tief, nachdem die Suche nach Lagern für Atommüll eine lange Geschichte von Lügen, Verharmlosungen und Falschaussagen war. Wie kann jetzt Vertrauen aufgebaut werden?
Steffi Lemke: Das geht nur durch transparente Verfahren und dadurch, dass die Bürgerinnen und Bürger am Verfahren der Endlagersuche beteiligt werden. Deshalb haben wir in einem breiten, parteiübergreifenden Konsens eine Endlagersuche gestartet, die genau auf diesen Säulen fußt. Wir müssen Vertrauen und Akzeptanz schaffen in einem Prozess, der in der Tat schwierig ist und Betroffenen viel abverlangt.
Einblicke: Wenn die BGE sagt: „Bürgerinnen und Bürger sollen einen umfangreichen Einblick in unsere Arbeit erhalten“, dann klingt das eher nach „informieren“ als nach „einbinden“, oder?
Steffi Lemke: Zuzuhören, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben in diesem Prozess. Doch Zuhören allein reicht nicht: Wir wollen diese Ideen, Hinweise und Anregungen auch aufnehmen – deshalb diskutieren wir intensiv mit den Bürgerinnen und Bürgern. Anders geht es auch nicht. Wir haben jetzt über drei Generationen hochradioaktiven Atommüll produziert, und die nächsten 30.000 Generationen müssen mit diesen Hinterlassenschaften klarkommen. Diese Verantwortung politisch und gesellschaftlich deutlich zu machen, das geht nur mit echter Beteiligung, nicht mit der Simulation von Beteiligung. Was ich an dieser Stelle allerdings auch sagen muss: Am Ende trifft der Gesetzgeber, also der Deutsche Bundestag, die Entscheidung – und muss sie anschließend auch verantworten.
Einblicke: Woran liegt es, dass die Debatte zur Endlagersuche zuletzt weniger Aufmerksamkeit erfahren hat als die Debatte zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken?
Steffi Lemke: Weil die langfristigen Folgen ausgeblendet werden, und das ärgert mich. Die Debatte über längere Laufzeiten kommt daher wie ein scheinbar einfacher politischer Diskurs – aber was damit an zusätzlichem Atommüll auf die nachfolgenden Generationen zukommen würde, das wird völlig ausgeblendet. Was in dieser Debatte ebenfalls ignoriert wird: Wenn die Atomreaktoren länger laufen, verspielen wir viel Vertrauen in den Prozess der Endlagersuche.
Einblicke: Warum beschädigt ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke die Glaubwürdigkeit in Sachen Endlagersuche?
Steffi Lemke: Es stellt sich die Frage: Wie verlässlich sind politische Entschlüsse, stehen wir zu unserem Wort? Es gibt die gesetzliche Entscheidung, dass Deutschland aus der Atomkraft aussteigt. Das ist zugleich ein Versprechen. Wenn dieses Versprechen gebrochen würde, wie sollen die Menschen sich darauf verlassen, dass die Standortauswahl bei der Endlagersuche konsequent nach wissenschaftlichen, also objektiven Kriterien getroffen wird?
Einblicke: Wäre es wirklich so schlimm, wenn noch ein paar Tonnen an radioaktivem Müll dazukämen?
Steffi Lemke: Wird die Menge an hochradioaktivem Müll erhöht, kann das Auswirkungen auf den gesamten Suchprozess haben. Das ist die formale Seite. Mindestens so wichtig ist die menschliche Ebene. Es ist ganz wesentlich für die Akzeptanz der Endlagersuche, dass sich die Betroffenen – oder potenziell Betroffenen – auf die wesentlichen Geschäftsgrundlagen verlassen können, insbesondere die Müllmengen, um die es geht. Vertrauen ist schnell erschüttert. Genau das sollten wir vermeiden und weiterhin mit maximaler Nachvollziehbarkeit und Transparenz vorgehen.
Einblicke: In der Schweiz hat ein ähnlicher Prozess ja mutmachende Ergebnisse geliefert: Kann man sich davon etwas abgucken?
Steffi Lemke: Wir in Deutschland haben durch das jahrelange Hickhack und Zickzack beim Atomausstieg wertvolle Zeit verloren. Rückblickend war es ebenso ein Fehler, sich früh – und falsch – auf Gorleben als Endlager festzulegen. Dass wir die Endlagersuche jetzt in einem wissenschaftlichen und transparenten Prozess mit Beteiligung führen, kostet natürlich Zeit. Dass die Schweiz mit einem ähnlichen Ansatz gut vorankommt, kann uns Zuversicht und Antrieb geben.
Einblicke: Mit der sogenannten Transmutation ist es zumindest im Labor möglich, Atommüll so zu behandeln, dass er weniger lange strahlt. Sollten wir den Atommüll so lagern, dass wir ihn in einigen Jahrzehnten wieder hoch holen und transmutieren können?
Steffi Lemke: Wir beobachten neue Technologien aufmerksam. Gleichwohl stehen wir in der Pflicht, den gesetzlichen Auftrag zur Endlagersuche umzusetzen. Davon werden wir nicht abweichen. Zur Transmutation gibt es zu viele offene Fragen. Nach heutigem Kenntnisstand ist sie keine Alternative zur tiefengeologischen Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle. Wir dürfen nicht aufgrund von Behauptungen über eventuell irgendwann mal einsetzbare Technologien aufhören, die Endlagersuche voranzutreiben. Wir können die Verantwortung für den von uns erzeugten Atommüll nicht auf unsere Kinder und Enkelinnen und Enkel verlagern.
Einblicke: Viele Menschen finden die Vorstellung von sehr gefährlichen Abfällen tief im Untergrund ausgesprochen gruselig. Gibt es aus Ihrer Sicht realistische Alternativen zum unterirdischen Endlager?
Steffi Lemke: Sicherheit kann nur eine tiefengeologische Lagerung der hochradioaktiven Abfälle bieten. Das ist auch weltweit Konsens unter allen Ländern, die sich bereits ernsthaft um die Lösung des Atommüllproblems kümmern.
Einblicke: Springen wir mal in die Zukunft. Das Szenario: Zwei oder drei Standorte sind für eine tiefengeologische Lagerung des hochradioaktiven Atommülls aus wissenschaftlicher Sicht geeignet. Doch die Menschen in den Regionen gehen auf die Barrikaden. Welchen Wert hat ein transparentes Verfahren noch, wenn persönliche Betroffenheit alle wissenschaftlichen Ergebnisse anzweifeln lässt?
Steffi Lemke: Je konkreter es wird, desto hitziger wird es werden. Das ist uns allen klar. Doch damit die Standortauswahl überhaupt akzeptiert werden kann, ist es unerlässlich, dass der gesamte Prozess, der zu dieser Entscheidung geführt hat, transparent nachvollziehbar ist. Nur so ist Akzeptanz möglich.
Einblicke: Wie weit müssen wir in die Zukunft springen, wann steht diese Entscheidung an?
Steffi Lemke: Es ist erst einmal sehr gut, dass die BGE auf meine Bitte hin den möglichen Zeitbedarf für das weitere Standortauswahlverfahren bekannt gegeben hat. Wir wissen jetzt, dass 2031 nicht mehr realistisch ist und wir über andere Zeiträume sprechen. Wir wollen das Endlager so schnell wie möglich in Betrieb nehmen, aber wir müssen die höchste Sicherheit gewährleisten können. Das gilt insbesondere, wenn wir konkrete Standorte nennen, deshalb nehmen wir uns diese Zeit. Dafür brauchen wir Vertrauen – genau das Vertrauen, das vor einigen Monaten durch die Debatten um Laufzeitverlängerungen erschüttert worden ist.