Ein gut gealtertes Konzept

Endlager Konrad

25.09.2025 von Tobias Meyer Artikel

Vor mehr als 20 Jahren wurde das Endlager Konrad genehmigt – doch ist das Sicherheitskonzept von damals noch zeitgemäß? Ein umfangreiches Prüfprogramm hat diese Frage sieben Jahre lang untersucht und zeigt: Das ursprüngliche Konzept kann sich mit dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik messen.


Als das künftige Endlager Konrad 2002 genehmigt wurde, wurde das elektronische Stabilitätsprogramm ESP zum Standard in unseren Autos. Inzwischen hat sich die Technik kontinuierlich verbessert; heute sind Systeme wie Notbrems- und Spurhalteassistent üblich. Sollte das nicht auch bei Endlagern für nukleare Abfälle so sein? Beziehungsweise: Entspricht ein vor mehr als 20 Jahren final beschlossenes Konzept überhaupt noch dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik? Dieser Frage gingen Gutachter*innen und Wissenschaftler*innen sieben Jahre lang im Rahmen der „Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen für das Endlager Konrad“ (ÜsiKo) nach. Denn seit Erteilung der Genehmigung hat sich einiges geändert, etwa hinsichtlich neuer Normen und Berechnungsgrundlagen. Nicht jeder heute anders angegangene Aspekt bedeutet aber auch gleich ein höheres Risiko oder bei einer anderen Herangehensweise einen Sicherheitsgewinn. Denn oft sind neue Methoden lediglich genauer, liefern aber keine völlig anderen Ergebnisse.


Die Latte liegt hoch

Einige Punkte könnten weniger streng gestaltet sein, findet der ehemalige Leiter des Öko-Instituts Michael Sailer: „Konrad ist ja nur für die schwach- und mittelstrahlenden radioaktiven Abfälle ausgelegt. Im Vergleich zum Atommüll aus Brennstäben ist die Gesamtradioaktivität im Endlager hier um den Faktor 100 schwächer. Deswegen macht es keinen Sinn, ohne Nachdenken die Regeln für hochradioaktiven Abfall zu übertragen. Statt-dessen brauchen wir Sicherheitsvorschriften, die dem Risikoprofil entsprechen.“ Wie gehen denn andere Länder mit schwachradioaktivem Müll um, besonders mit der Sicherheit bei der Endlagerung? „Im weltweiten Vergleich werden wir hinsichtlich der Einlagerung schwachradioaktiver Abfälle als sicherheitsverrückt angesehen, zusammen mit der Schweiz und Skandinavien, die auf ähnliche Konzepte setzen“, so die Erfahrung von Michael Sailer. Der renommierte Experte für Nuklearsicherheit fährt fort: „In Japan geht man bei der Einlagerung lediglich einige Dutzend Meter in die Tiefe, was hinsichtlich des Grundwassers sogar problematischer sein könnte, als den schwachradioaktiven Abfall einfach an der Oberfläche zu lagern, wie etwa Frankreich und die USA das machen.“ Dort müsse die Sicherheit für lediglich 300 Jahre gewährleistet sein. Für das Endlager Konrad gab es bei der Genehmigung keine zeitliche Begrenzung der Betrachtung. Wichtiger ist der radiologische Bewertungsmaßstab von 0,3 Millisievert pro Jahr. Dieser wird auch bei Betrachtungen von mehreren Millionen Jahren eingehalten.


Doppelt abgesichert

In Phase 1 der ÜsiKo ermittelten verschiedene Expert*innen, wo inzwischen anders gearbeitet wird als im Jahr 2002 und was davon sicherheitsrelevant sein könnte. Die Methodik der Expert*innen wiederum überprüften andere externe Forschende noch einmal. Auch hier zeigt sich: lieber alles doppelt absichern, als eine winzige Schwachstelle offenzulassen. Das Ergebnis von Phase 1? Insgesamt wurden 36 Punkte identifiziert, die die Fachwelt heute anders angehen würde als im Jahr 2002.


Ein sicherer Ausbau erfordert hohe Präzision. Hier kontrollieren Geotechniker an eingelassenen Messpunkten den Verlauf einer Strecke.

Was, wenn?

In Phase 2 der ÜsiKo ging es darum, die 36 entdeckten Punkte im Detail zu überprüfen. Beispielsweise konnten Simulationen zeigen, dass sich ein Brand unter Tage im Einlagerungsbereich nicht negativ auf die Stabilität des Grubenbaus auswirkt. Ein weiteres Thema waren die Störfallplanungswerte. Störfälle sind zum Beispiel der Absturz eines Abfallgebindes oder der Brand eines Transportfahrzeugs unter Tage. Bei der Planung von Schutzmaßnahmen gegen Störfälle muss sichergestellt werden, dass bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden können. Das wurde neu berechnet und die Schutzziele werden weiterhin eingehalten – außer für Polonium-210. Betrachtet man den Fall jedoch realistisch, wird die Halbwertszeit des Nuklids von nur 138 Tagen relevant: Bis Gebinde mit Polonium im Endlager Konrad landen, ist der größte Teil des Elements bereits zerfallen und der Grenzwert bleibt unterschritten. Um dies sicherzustellen, prüft die BGE die zu erwartenden Mengen an Polonium noch einmal genau.


Sichere Arbeitsabläufe

Auch die Planung der künftigen Arbeitsabläufe im Einlagerungsprozess war als Untersuchungsfeld markiert: Die Expert*innen zerlegten die Arbeitsabläufe für ihre Analysen in mehr als 140 Arbeitsschritte. Das Ergebnis der Analyse: 113 Arbeitsschritte wurden als bereits sehr sicher eingestuft und müssen nicht verändert werden, bei 27 gab es Verbesserungsvorschläge. Es handelt sich jedoch eher um kleine Anpassungen, wie beispielsweise um zusätzliche Keile unter den Rädern der Lkws in der Entladezone. Ob diese jedoch die Anlagensicherheit so weit erhöhen, dass es sich lohnt, eventuell den Arbeitsschutz der Mitarbeitenden zu senken, klärt die BGE derzeit noch. Denn wenn die Keile mehrmals täglich an Lastwagen positioniert werden müssen, könnte es dabei auch zu Unfällen kommen.

Michael Sailer baute beim Öko- Institut den Fachbereich Nukleartechnik und Anlagensicherheit auf und leitete diesen bis 2009. Von 1999 an war er Teil der Geschäftsführung, ab 2009 für zehn Jahre deren Sprecher. Sailer arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Berater und Gutachter für die Sicherheit von Kernkraftwerken sowie für die Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfälle.


Oliver Sträter verantwortete bei der Europäischen Flugsicherheit in Brüssel die Sicherheitsfragen bei der Vereinheitlichung des europäischen Luftraums. Seit 2008 ist Sträter Universitätsprofessor und Leiter des Fachgebiets Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Kassel. Sträter berät die Umweltministerien in Deutschland und der Schweiz zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen.

Eine offene Arbeitskultur

Neben Grenzwerten und Rechenmodellen hat sich auch die Sicherheitskultur verändert: „Früher haben wir ein Risiko im Vorfeld bewertet und uns dann während der kompletten Betriebszeit darauf verlassen. In den letzten 20 Jahren hat sich das zu einem Sicherheitsmanagement gewandelt“, sagt Oliver Sträter, der als Professor an der Universität Kassel unter anderem zu Sicherheitsthemen forscht. Wie bei anderen Managementsystemen ist der Ansatz auch hier, sich kontinuierlich zu verbessern. Dazu gehöre laut Sträter auch das akribische Erfassen von Ereignissen, bei denen schlussendlich nichts Schlimmes passiert ist. Denn: Stolpert beispielsweise eine Arbeitskraft über einen Keil und bleibt dabei unverletzt, muss das beim nächsten Mal nicht zwangsläufig genauso glimpflich ausgehen.

Daher sei es sinnvoll, nach jedem Vorfall eine Strategie zu erarbeiten, wie man in so einem Fall am besten reagiert – oder gleich eine Möglichkeit zu finden, so etwas künftig vermeiden zu können. „Alle Mitarbeitenden müssen zudem das Gefühl haben, ihre Sicherheitsbedenken problemlos äußern zu können“, so Sträter. Eine offene Kultur sei üblich bei Organisationen, die ein hohes Risikopotenzial zu managen haben. Sie ist seiner Erfahrung nach das Öl im Getriebe des Sicherheitsmanagements – ohne funktioniert es nicht.


Sebastuan Struch

Top