Atommüll an der deutschen Grenze

03.12.2018 von Oliver Geyer

Was hat das französische Projekt Bure mit uns zu tun?

Teile des Saarlands und von Rheinland-Pfalz sind schon heute durch konkrete Endlager-Pläne betroffen – die von Frankreich. In Bure, 150 Kilometern von der deutschen Grenze entfernt, gibt es schon seit Jahren ein so genanntes Untertage-Labor. Das soll jetzt ausgebaut werden

Von Oliver Geyer


Zwei deutsche Regionen, in denen sich viele Menschen schon verstärkt Gedanken und auch Sorgen um ein Atommüllendlager machen, sind das Saarland und Rheinland-Pfalz. Doch ging es dort keineswegs um das deutsche Endlager, für das derzeit nach dem Prinzip der weißen Landkarte im ganzen Bundesgebiet nach einem geeigneten Standort gesucht wird. Für Verunsicherung sorgten vielmehr die Bestrebungen der französischen Endlageragentur ANDRA, das erste Endlager Frankreichs für hochradioaktiven und mittelradioaktiven Abfall in der Nähe des lothringischen Ortes Bure zu errichten. Bure liegt etwa 150 Kilometer entfernt von der deutschen Grenze – und damit relativ nah an Teilen des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz.

In Anspielung auf das französische AKW Cattenom und den Pannenmeiler Fessenheim hat der saarländische Umweltminister Reinhold Jost (SPD) die Position seines Landes zu den Bure-Plänen deutlich gemacht: „Wir wollen nicht noch eine atomare Einrichtung in der Großregion.“

Vom Versuchslabor zum Endlager

Wie kam es überhaupt zu dem Plan, so nah an der Grenze ein Endlager zu bauen? In den 1990er-Jahren hatte die ANDRA der damaligen französischen Regierung empfohlen, in Bure ein Versuchslabor einzurichten, in dem die wissenschaftlichen Voraussetzungen für die Endlagerung von Atommüll erforscht werden sollten. Es dauerte bis 2011, dann war hier ein Modell-Endlager im Kleinformat entstanden. Dann ging alles ganz schnell. So schnell, dass es nicht nur Atomkraftgegner in Frankreich, sondern auch Teile der deutschen Bevölkerung sowie die Landespolitik von Rheinland-Pfalz und dem Saarland in Habachtstellung brachte.

Ab 2013 wurde eine öffentliche Debatte geführt, 2016 beschloss das französische Parlament, in direkter Nachbarschaft des Versuchsendlagers ein Endlager zu bauen. Dafür soll nun das Genehmigungsverfahren vorangetrieben werden, das vorsieht, hier um das Jahr 2030 herum mit der Einlagerung von mittel- und hochradioaktiven Abfällen aus französischen AKW zu beginnen.

Kritiker sahen sich durch das hohe Tempo in einem Verdacht bestätigt, den sie schon länger hegten: dass die französische Regierung und die ANDRA den Standort Bure nicht nur wegen der relativ starken Ton- und Mergelformation in 500 Metern Tiefe für geeignet halten, sondern vor allem auch, weil das Département Meuse sehr dünn besiedelt und strukturschwach ist. Hier, so die Unterstellung, erwarten die Verantwortlichen wenig Widerstand aus der Bevölkerung, die auch bereits mit umfangreichen finanziellen Zuwendungen bedacht worden ist. Eine vergleichende Standortsuche wie in Deutschland hat es in Frankreich nicht gegeben.


Der Begriff „Untertagelabor“ habe verschleiert, dass es eigentlich von vornherein darum gegangen sei, an diesem Standort ein Endlager zu errichten.

Auch die Informationspolitik der französischen Regierung wird als intransparent kritisiert: Der Begriff „Untertagelabor“, so argumentieren viele Kritiker, habe verschleiert, dass es eigentlich von vornherein darum gegangen sei, an diesem Standort ein Endlager zu errichten. Die öffentliche Debatte sei dementsprechend auch nur eine Scheindiskussion gewesen, die der Bevölkerung nur ein recht begrenztes Mitspracherecht geboten habe. Und das auch nur für die französische Bevölkerung. Mit dem Beschluss von 2016 sind auch viele Bürger in den betroffenen deutschen Grenzregionen hellhörig geworden. Denn sollte es um ein Endlager in Bure je zu einem Austreten von Strahlung kommen, könnten auch Bewohner des Saarlands und von Rheinland-Pfalz davon betroffen sein. In der Vergangenheit hatte es nur ein paar gemeinsame Protestaktionen von Atomkraftgegnern aus Frankreich, Deutschland und Luxemburg gegeben. Nun schlossen sich Rheinland-Pfalz, das Saarland und Luxemburg auch auf politischer Ebene zusammen und vertraten gemeinsam ihre Interessen.

Mittlerweile haben die Länder alle von den französischen Behörden zur Verfügung gestellten Unterlagen durch das Ökoinstitut Darmstadt bewerten lassen – und melden in einer gemeinsamen Stellungnahme weitreichende Bedenken an. Die Sicherheitsanalysen, heißt es da, seien nicht vollständig. Und es sei auch fraglich, ob die im Untertagelabor festgestellten Eigenschaften des Wirtsgesteins so auch in dem Endlager gelten, das ein paar Kilometer entfernt errichtet werden soll. Eine große Fülle von Informationen über den Standort könne erst im Zuge der endgültigen Errichtung gewonnen werden, so die Argumentation in dem Positionspapier der drei Länder. Deshalb fordern sie, dass die Genehmigung zur Errichtung des Endlagers nicht zugleich auch schon die Genehmigung zu dessen Betrieb sein darf.

Klage erheben, wenn die französische Regierung grünes Licht gibt

Der saarländische Landtag hat sich derweil einstimmig gegen das Projekt ausgesprochen, und der saarländische Umweltminister Reinhold Jost (SPD) beruft sich mit seiner ausdrücklichen Ablehnung der Endlagerpläne für Bure auf die „berechtigten Sicherheitsinteressen der Menschen, die in der Region leben und ihre Heimat haben“. Er hat zudem angekündigt, Klage einreichen zu wollen, sollte die französische Regierung grünes Licht für den Bauantrag geben. Die Erfolgsaussichten einer solchen einzelnen Klage von einem deutschen Bundesland schätzen Juristen jedoch eher als gering ein.

Ein realistischeres Ziel ist es, dass Frankreich der Bundesregierung in der Pilotphase des Endlagers einen Beobachterstatus zugesteht, um die deutsche Bevölkerung regelmäßig über den Fortgang der Analysen zur Eignung von Bure informieren zu können.


Der Autor

Oliver Geyer

Reporter Oliver Geyer, der für verschiedene Magazine und Zeitungen wie u. a. die „Zeit“ schreibt, war schon öfter unter Tage: einmal in Gorleben, ein anderes Mal in der Asse. Auch wenn sich die Bergwerke in vielem unterscheiden, von einer Sache zeigt sich Geyer jedes Mal aufs Neue angetan: „So tief unter der Erde sind die Menschen besonders bodenständig.“

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