Im Dialog

von Manfred Kriener Reaktionen

Im Dialog

Die neue Endlagersuche hat viele Kritiker*innen aber auch eine kritische Begleitung


 Von Manfred Kriener

Die Auswahl eines Endlagerstandortes für hoch radioaktiven Atommüll ist ebenso schwierig wie brisant. Von Beginn an war die Suche von heftiger Kritik begleitet. In Zukunft soll der Dialog das Verfahren bestimmen.


Ein Endlager für hochradioaktive Abfälle löst keine Begeisterung aus. Das war in Gorleben so, dem 1979 als Endlagerstandort ausgewählten Ort. Das ist im Fichtelgebirge in Bayern so, wo es seit mehr als zehn Jahren Bürgerinitiativen gegen das Endlager gibt, obwohl die Region bisher nicht im Fokus stand. Ängste, Befürchtungen und Abwehr reichen manchmal sogar bis in die Landesregierung hinein wie im Fall Bayerns. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) lehnt ein Endlager in seinem Bundesland kategorisch ab: "In Bayern macht ein Atommüllendlager keinen Sinn. Geologisch gesehen passt Bayern nicht, da das vorhandene Gestein eine deutlich schlechtere Sicherheit aufweist als zum Beispiel Gorleben, deshalb wird es hier auch kein sicheres Endlager geben."


In Ostdeutschland wurden Kreistagsresolutionen verabschiedet, die schon präventiv ein Endlager für hochradioaktive Abfälle ablehnen. Der Oberbürgermeister von Bautzen, Alexander Ahrens (SPD), geht so weit zu sagen, es sei „untragbar, dass die ostdeutschen Länder nun vielleicht den ganz überwiegend westdeutschen Atommüll aufgedrängt bekommen“. Ein Standort in Ostdeutschland sei auszuschließen.

Damit kann Franz Untersteller (Grüne) wenig anfangen. Der Umweltminister in Baden-Württemberg erinnert vielmehr daran, „dass wir uns auf dieses Standortauswahlverfahren gemeinsam geeinigt haben“. Er wirbt dafür, „dem Prozess jetzt erst einmal eine Chance zu geben, sich zu bewähren“.

Die größte Oppositionspartei im Bundestag, die AfD, hat grundsätzliche Bedenken: „Eine zentrale Endlagerung an einem später kaum mehr zugänglichen Ort halten wir für den falschen Weg.“


„Von vielen Seiten wird immer wieder versucht, den Standort Gorleben als mögliches Endlager im Spiel zu halten, obwohl die Argumente gegen Gorleben erdrückend sind.“ Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg

Und dann gibt es noch die Anti-Akw-Bewegung. Nach vielen Irrwegen von Energiewirtschaft und Politik in der Entsorgungsfrage ist sie traditionell skeptisch. Und doch ist dieses Mal einiges anders als in der Vergangenheit. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg ist auch nach mehr als 40 Jahren unverändert aktiv und engagiert – eine Institution der deutschen Umweltbewegung. Die BI begleitet das neue Auswahlverfahren für das Endlager kritisch. Seinen wichtigsten Einwand formuliert BI-Sprecher Wolfgang Ehmke so: „Von vielen Seiten wird immer wieder versucht, den Standort Gorleben als mögliches Endlager im Spiel zu halten, obwohl die Argumente gegen Gorleben erdrückend sind.“ Das fehlende Deckgebirge über dem Salzstock, die aktiven Störungszonen in der Geologie, die Hebungsraten, die Klüfte im Gestein – Ehmke hat die Gegenargumente sofort parat. Dass Gorleben nicht längst gestrichen sei – „das ist nicht fair und wissenschaftlich nicht haltbar“. Das Argument, dass auf einer weißen Landkarte Gorleben nicht politisch ausgeschlossen werden darf, zieht bei Ehmke nicht. Es hat aber eine parteiübergreifende Mehrheit im Bundestag überzeugt, die 2013 den Neustart und 2017 eine erste umfassende Novelle des Standortauswahlgesetzes beschlossen und damit die rechtliche Grundlage für die neue Endlagersuche geschaffen hat.


Ehmke und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter kritisieren zudem den aus ihrer Sicht „viel zu engen Zeitplan“ für die Bürgerbeteiligung. Am 28. September 2020 wird die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) den Zwischenbericht Teilgebiete veröffentlichen. Das ist die erste grobe Orientierung darüber, welche Gebiete für ein Endlager nicht in Frage kommen, und welche Gebiete günstige geologische Bedingungen erwarten lassen. Ehmke ist überzeugt, dass das in den betroffenen Landkreisen „wie eine Bombe einschlagen“ werde. Bürgermeister, Bürgerinnen und Bürger, Landkreise hätten dann nur 19 Tage Zeit bis zur Auftaktveranstaltung zur Fachkonferenz Teilgebiete, zu der das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) für den 17./18. Oktober 2020 nach Kassel einlädt. „Wie sollen die sich vorbereiten, mit Experten reden, sich Rat holen, sich positionieren“, fragt Ehmke. Dennoch: „Wir werden uns weiter vehement einmischen; manchmal werden unsere Einwände sogar zur Kenntnis genommen.“


Tatsächlich hat die BI Lüchow-Dannenberg selbst ein „Gorleben-Kapitel“ für den Zwischenbericht Teilgebiete der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) geschrieben. Die BGE will diesen Beitrag in ihrem Zwischenbericht auch aufgreifen und sich mit den Argumenten auseinandersetzen. Auch der Hinweis von Ehmke bei einer BGE-Veranstaltung Ende 2019 auf ein bei der Sicherheitsbetrachtung von Endlagern bisher kaum beachtetes Thema, nämlich die Heliumbildung im Endlager, wollen die BGE-Expert*innen ernst nehmen und bei den Sicherheitsuntersuchungen zum Thema machen. 


"Der Gesetzgeber bekennt sich zu einem dialogorientierten Prozess der Beteiligung. So etwas gab es noch nicht." Ulrich Smeddinck, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse

Professor Ulrich Smeddinck, der den ersten juristischen Kommentar zum Standortauswahlgesetz verfasst hat und in mehreren Forschungsverbünden zu diesem Neustart auf einer weißen Landkarte forscht, sieht eine neue Qualität im Umgang des Staates mit den Bürger*innen. In einem Gastbeitrag für die BGE schreibt Smeddinck: „Der Gesetzgeber bekennt sich zu einem dialogorientierten Prozess der Beteiligung. So etwas gab es noch nicht: Das erfordert, nicht allein strategisch und zielorientiert in eine Richtung zu kommunizieren und zu überzeugen, sondern vor allem auch zuzuhören und bereit zu sein, sich überzeugen zu lassen – für die staatliche Seite im Standortauswahlverfahren eine immense Herausforderung.“


Auch Jochen Stay ist eine Institution der deutschen Zivilgesellschaft. Er ist einer der Köpfe von „ausgestrahlt“, der bundesweit agierenden Anti-Atom-Initiative. Über viele Jahre war es ehernes Gesetz: Über den Verbleib des Atommülls wird erst dann geredet, wenn alle Atommeiler abgeschaltet sind. Diese Haltung der Anti-Atom-Bürgerinitiativen habe sich geändert, betont Stay. Dennoch genügt das Verfahren nicht seinen Ansprüchen. Seine Hauptkritikpunkte: ungenügende Transparenz und ungenügende Partizipation. Das Endlager-Thema sei ein hocheskalierter Konflikt. Um die Menschen an den infrage kommenden Standorten in die Verantwortung zu bringen, sei es unverzichtbar, sämtliche verfügbaren geologischen Daten zu veröffentlichen. Stay argumentiert: „Diejenigen, die es trifft, müssen bis ins Detail nachprüfen können, warum es sie trifft.“

In Sachen Partizipation ärgert Stay, dass teils hochengagierte Kritiker mit ihren Einwänden „gegen die Wand laufen“. Es reiche nicht, die Zivilgesellschaft zu beteiligen, die Beteiligung müsse auch Relevanz haben, die Kritiker müssten Einfluss nehmen können. Stays Eindruck: Die BGE bleibe eine weitgehend abgeschottete Institution, die sich die letzten drei Jahre nicht in die Karten habe schauen lassen.


Tatsächlich veröffentlichen die BGE und das BASE, das auch für die Öffentlichkeitsbeteiligung verantwortlich ist, umfangreiche Unterlagen. Miranda Schreurs, eine von zwei Vorsitzenden des Nationalen Begleitgremiums (NBG), das die Standortsuche kritisch begleitet, sagt: „Die BGE hat regelmäßig über ihre Aktivitäten berichtet und die verwendeten Datenerhebungsverfahren und -methoden erläutert.“ Das NBG hat ein umfassendes Akteneinsichtsrecht. Von diesem Recht machte das Gremium seit Beginn der Standortsuche mehrfach Gebrauch. „Dies ist eine Art Überwachungsprozess der Arbeit der BGE und eine Prüfung der von ihr verwendeten Daten und Modelle“, sagt Miranda Schreurs. Damit das NBG auch die Daten prüfen kann, die nicht öffentlich zugänglich sind, weil sie im Besitz von Firmen oder Privatpersonen sind, haben NBG und BGE sich auf Regeln geeinigt, nach denen eine Akteneinsicht stattfinden kann.

Dazu gehört auch eine Verschwiegenheitsverpflichtung bezogen auf solche private Daten. Trotzdem sieht sie die BGE nicht als „geschlossene Gesellschaft“, denn bei der Akteneinsicht habe die BGE kooperiert. Vor kurzem habe das NBG zudem eine Mitarbeiterin zur BGE geschickt, die die Arbeiten mehrere Tage beobachten konnte.

Den Zeitplan finden auch das NBG und Jochen Stay „unhaltbar“, vor allem mit Blick auf die Corona-Problematik. Eine Online-Beteiligung der Bürger auf der Fachkonferenz Teilgebiete sei bei diesem Thema keine Alternative. Präsenz vor Ort sei unbedingt erforderlich, um sich tatsächlich einmischen zu können.


„Ich kann nicht ständig im Internet surfen, um mir die Informationen selbst zusammen zu suchen, da gibt es eine Bringschuld der Behörden. Da passiert aber nichts.“ Josef Klaus, Vorsitzender der Asketa

Einer anderen Gruppe kann es dagegen gar nicht schnell genug gehen. Es ist die Vereinigung, zu der sich die deutschen Atomstandorte zusammengeschlossen haben:  Asketa nennt sich die „Arbeitsgemeinschaft der Standortgemeinden mit kerntechnischen Anlagen“. Die Gemeinden haben Angst, auf dem gefährlichen Atommüll an den Atomkraftwerksstandorten noch Jahrzehnte sitzen zu bleiben. „Wenn wir ehrlich sind“, sagt Josef Klaus, Vorsitzender der Asketa, „müssen wir davon ausgehen, dass vielleicht im Jahr 2080 das Endlager den Atommüll aufgenommen hat.“ Deshalb verlangt die Vereinigung, dass die befassten Bundesinstitutionen „schneller in die Gänge kommen“. Für das gesamte Auswahlverfahren, sagt  Klaus, brauche es bessere Informationen und verlässlichere Zeitpläne. Die Atomgemeinden sollten regelmäßig unterrichtet werden. Klaus: „Ich kann nicht ständig im Internet surfen, um mir die Informationen selbst zusammen zu suchen, da gibt es eine Bringschuld der Behörden. Da passiert aber nichts.“


Das Gefühl, nicht genug Informationen zu haben, sollte sich mit der Veröffentlichung des Zwischenberichts Teilgebiete der BGE am 28. September 2020 und dem Beginn der Fachkonferenz Teilgebiete am 17. Oktober 2020 dann wohl ändern.


Manfred Kriener

Der Autor schreibt seit vielen Jahren über Ökologie, Nachhaltigkeit und Wissenschaftsthemen.

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