Wohin mit dem deutschen Atommüll?
03.12.2018 von Hanna Gersmann Reportage
Einleitung
Atomausstieg: In Deutschland lagern rund 15.000 Tonnen hochradioaktiver Atommüll, für den ein Endlager gesucht wird. Dieser befindet sich zum großen Teil in überirdischen Zwischenlagern – wie dem im westfälischen Ahaus. Dort ist die Sorge der Menschen groß, auf dem strahlenden Abfall sitzen zu bleiben. Und es kommt immer noch neuer hinzu
Von Hanna Gersmann
In Ahaus wird immer mehr Abfall zwischengelagert
Diesmal könnte er es tun. Die Schaufenster seines Juweliergeschäftes in der adretten Ahauser Fußgängerzone mit knallgelben großen Zeichen in X-Form dekorieren, den Symbolen des Widerstands. Mathias Engels, 59, Goldschmiedemeister, hatte das vor 20 Jahren schon mal vor. Doch der Vater war dagegen. Heute ist der tot – und ohnehin vieles anders in dem 40.000-Einwohner-Ort nahe der niederländischen Grenze.
Damals setzte sich in Süddeutschland ein Zug mit dem Ziel Münsterland in Bewegung. Die Fracht: sechs Castorbehälter mit abgebrannten Brennelementen aus den Atomkraftwerken Neckarwestheim (Baden-Württemberg) und Gundremmingen (Bayern). Zehntausend Leute reisten nach Ahaus, die Toten Hosen spielten. Sie alle protestierten gegen den Zug, hielten ihn aber nur kurz auf. Seither stehen die blauen Castoren in einer unscheinbaren, abgeschotteten Halle vor der Stadt, vier Kilometer von Engels’ Laden entfernt. Davor grasen Wisente (externer Link).
Lange haben die Ahauser das Zwischenlager so hingenommen – nun formiert sich wieder Protest
Die Wachleute sind bewaffnet. Wer reinwill, muss seinen Ausweis durch eine Schleuse schieben, seinen Fingerabdruck hinterlassen, mehrere Sicherheitsschleusen passieren. Dann steht man dort, wo die Castoren bleiben sollen, bis in Deutschland der endgültige unterirdische Platz für hochradioaktiven Müll gefunden ist.
Die Ahauser nahmen es lange hin. Das Zwischenlager gehörte zur Stadt. Wie das Barockschloss. Wie das Wellenbad.
„Man hat sich in den letzten Jahren arrangiert, man kann sich nicht jeden Tag aufregen.“
„Man hat sich in den letzten Jahren arrangiert, man kann sich nicht jeden Tag aufregen“, sagt Engels. Er, weißes Hemd, graue Haare, sitzt in seinem eleganten Laden, in den Vitrinen blitzen die Ringe und Uhren. Ein ruhiger Typ, könnte man meinen. Aber es rumort in ihm – wie in Ahaus überhaupt.
Die Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ (externer Link) baut in der Fußgängerzone ihre Stände auf, plant eine Demonstration für den 9. März 2019. Sie will die in einer Scheune untergestellten gelben X-Symbole wieder rausholen.
Der Grund: das „Jülich-Ding“, sagt Hans-Georg Althoff, der die Bürgermeisterin vertritt. Ab 2019 sollen in Ahaus 152 Castoren mit 300.000 überwiegend hochradioaktiven Brennelementekugeln aus dem Forschungsreaktor Jülich bei Aachen eingelagert werden. Der ist seit 1988 abgeschaltet, nach 21 Jahren Betriebszeit und manchem Störfall. Die strahlenden Reste befinden sich derzeit in einem Zwischenlager nebenan. Doch diesem fehlt der Nachweis, erdbebensicher zu sein. Darum ordnete die Landesregierung NRW bereits 2014 an, das Lager „unverzüglich“ zu räumen.
Drei Optionen standen fortan im Raum: Brennelemente in die USA zu exportieren. Der Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich. Oder: Transport nach Ahaus.
Auch die Kommunalpolitik will die neuen Atommülllieferungen nicht akzeptieren
Im Juli 2016 hat das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit, kurz: BfE (Bezeichnung seit 1. Januar 2020: Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, BASE) dann die Lagerung der Behälter in Ahaus genehmigt. Auch wenn noch die Erlaubnis für den Transport fehlt. Das kam in Ahaus nicht gut an, schon gar nicht im Rathaus, im Büro von Althoff.
Der CDU-Mann, fröhlicher Kerl mit Bart, kümmerte sich um eine renommierte Anwaltskanzlei, die Stadt zog gegen die Genehmigung vor Gericht. Althoff ist selbst Jurist, für ihn – daraus macht er keinen Hehl – ist das ein interessanter Fall: „Wann hat man sonst in der Kommunalverwaltung mit so einer großen Kanzlei, mit 500 Seiten dicken Klagen zu tun?“
Aber hat die Stadt nicht vom Zwischenlager profitiert? Vielleicht sind die 30 Jobs nicht entscheidend, aber Geld floss und fließt doch bis heute?
Alles begann in den 70er-Jahren, als hier die Textilindustrie dahinsiechte, die Streichholzfabrik dichtmachte, die Arbeitslosenquote über dem Landesdurchschnitt lag. Ahaus bewarb sich unter CDU-Stadtdirektor Heinz-Robert Jünemann um eine Brennelemente-Fabrik, kurz darauf um eine Urananreicherungsanlage. Beide kamen nicht. Dann entdeckte die SPD-Landesregierung Ahaus: für ein Zwischenlager. Ahaus bekam Strukturhilfe – und machte sich.
Der heutige Betreiber des Zwischenlagers, die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) (externer Link) mit Sitz in Essen, zahlt auch heute noch knapp 1,3 Millionen Euro Infrastrukturhilfen pro Jahr an die Stadt. „Nicht die Welt im Verhältnis zu den Gewerbesteuererträgen der Stadt“, sagt Althoff, ums Geld gehe es aber nicht. „Wir stehen zu unserem Vertrag mit dem Betreiber, stellen das Zwischenlager nicht infrage.“ Das Material aus den Forschungsreaktoren sei jedoch „anders“ als jenes aus Atomkraftwerken.
Der Jülicher Müll gilt als problematisch, weil es dort Störfälle gegeben hat und das Uran in den Brennstoffkugeln meist hoch angereichert ist. Im Übrigen sei das bei den 30 Castorbehältern ähnlich, die aus dem Forschungsreaktor in München-Garching ebenfalls nach Ahaus kommen sollen. Das Uran in den darin enthaltenen Brennstäben sei auch hoch angereichert, womöglich sogar „waffentauglich“. Davon sei damals nie die Rede gewesen.
Sonderfall Brunsbüttel: Für das Zwischenlager im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel besteht nach einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (externer Link) aus dem Jahr 2015 keine gültige Genehmigung mehr. Ein Anwohner hatte 2004 Klage eingereicht. Er bezweifelte, dass das Zwischenlager ausreichend vor Terrorangriffen geschützt ist. Die Richter äußerten sich nicht zur tatsächlichen Sicherheit des Zwischenlagers, sie bemängelten aber Ermittlungs- und Bewertungsdefizite bei der Genehmigung. So habe das zuständige Bundesamt – damals das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (externer Link) – versäumt, die Folgen eines Absturzes eines Airbus A380 zu prüfen, obwohl Daten dazu vorlägen. Das BfS hatte erklärt, es habe diese Aspekte „ausreichend geprüft“, könne die Unterlagen aber nicht offenlegen, damit das Wissen um Schutzmaßnahmen nicht von Terroristen missbraucht werde. Der Betreiber hat mittlerweile eine neue Genehmigung beantragt. Der heutige Grünen-Vorsitzende Robert Habeck entschied noch als Landesenergieminister per Anordnung, dass die weitere Einlagerung der neun Castoren in Brunsbüttel bis Ende 2019 geduldet wird.
Noch ist für die Garchinger Castoren zwar gar keine Genehmigung erteilt. Doch die Stadt Ahaus hat bereits eine weitere Klage eingereicht, eine Unterlassungsklage: Der Zwischenlagerbetreiber soll die Jülicher Castoren nicht annehmen, die Garchinger auch nicht.
Er respektiere es, die Gerichte einzuschalten, sagt BGZ-Sprecher Burghard Rosen, gehe aber davon aus, dass die Genehmigung „einwandfrei“ sei. Ahaus sei schon seit zehn Jahren für die Castoren aus Jülich im Spiel und für die aus Garching seit langem vorgesehen. Rosen, weißer Helm, orange Warnweste über den Büroklamotten, steht mitten im Zwischenlager, als er seine Sicht erklärt.
Eine neue Betonmauer soll das Zwischenlager gegen Terrorangriffe sichern
Eine 20 Meter hohe Halle: Auf der einen Seite 184 Stahlblechcontainer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen, auf der anderen die sechs blauen Castoren, laternenpfahlhoch, dahinter 305 kleinere gelbe Castoren mit Brennelementekugeln aus dem stillgelegten Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop und 18 aus dem Forschungsreaktor Dresden-Rossendorf.
Von draußen dringt ab und zu Baulärm herein: Arbeiter ziehen eine neue Betonmauer hoch – gegen Terrorangriffe. Sicherheit. Rosen kommt immer wieder auf sie zurück. Ein Behälterdeckel wird undicht? „Können wir sofort reparieren.“ Das Garchinger Material waffenfähig? „Es müsste sich erst mal jemand Zutritt verschaffen, da gibt es aber viele Barrieren.“ Und wenn doch? „Es handelt sich nicht um direkt nutzbares waffenfähiges Material, es müsste aufbereitet werden. Dafür fehlt in Deutschland die Technik.“
Für Althoff ist Sicherheit sowieso nur das eine. Das andere: Die Genehmigung für das Zwischenlager in Ahaus läuft nur noch bis 2036. Bei allen Zwischenlagern in Deutschland ist das ähnlich, denn Anfang 2000 dachte man noch, es gäbe 40 Jahre später ein Endlager in stabilen, tiefen Gesteinsschichten. Derzeit sieht es danach jedoch nicht aus. Bund und Länder wollen zwar bis 2031 den bestmöglichen Ort finden. Aber dann muss der auch erst noch gebaut werden.
Juwelier Engels traut alldem nicht. Würde denn eine konkrete Zusage, wann das Endlager da ist, etwas ändern? Er sagt: „Ja, alles.“ Stellt er die X-Symbole in sein Schaufenster, so ist das auch ein bundesweiter Aufruf, die Endlager-Debatte voranzubringen.