Eine Zeitreise in die Zukunft

Endlager Morsleben

von Joachim Schüring Interview

Wer die Langzeitsicherheit eines Endlagers für radioaktive Abfälle plant, muss weit in die Zukunft denken. Und das heißt auch, mit Ungewissheiten umzugehen. Eine Zeitreise mit Matthias Mohlfeld von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE).

Einblicke: Denken wir uns einmal ins Jahr 2050. Was würden Spaziergänger*innen dann noch von dem ehemaligen Salzbergwerk Morsleben sehen?

Wie der Ort nach der Stilllegung über Tage aussehen wird, ist noch nicht geregelt. Da sollten die Menschen vor Ort mitreden dürfen. Wichtig ist, dass wir die Voraussetzungen schaffen, damit jegliche Art der Nachnutzung möglich ist. Wir diskutieren gerade mit der Denkmalschutzbehörde, ob und in welcher Form Teile der Schachtförderanlage Marie erhalten werden. Ich kann mir auch ein Denkmal vorstellen, das die Geschichte dieses Standortes versinnbildlicht.

Portrait Matthias Mohlfeld
Matthias Mohlfeld ist Bauingenieur und beschäftigt sich seit 1996 mit Sicherheitsanalysen von Endlagern für radioaktive Abfälle. Seit 2019 leitet er bei der BGE die Abteilung „Stilllegung“ des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben

Einblicke: Wie lange wird die Stilllegung dauern? Was passiert in dieser Zeit?

Die Planungen hierzu sind noch nicht abgeschlossen, auch kann eine Genehmigung zusätzliche Auflagen enthalten. Wir planen aber mit einem Zeitraum von rund 15 Jahren. In dieser Zeit sollen alle noch offen stehenden Grubenbaue vollständig verfüllt werden. Wir rechnen dabei mit bis zu fünf Millionen Kubikmetern Spezialbeton. Des Weiteren werden wir die vorhandenen geologischen Barrieren dort, wo diese durch bergbauliche Arbeiten verletzt sind, durch spezielle Abdichtungen wieder verschließen.

Einblicke: Wie können wir uns die komplette Verfüllung logistisch vorstellen?

Das ist ein anspruchsvolles Vorhaben. Dass wir das können, haben wir bereits bei Stabilisierungsmaßnahmen im Zentralteil des Bergwerks gezeigt – mit rund einer Million Kubikmetern Salzbeton. Aber die räumlichen Verhältnisse unter Tage sowie das zeitgleiche Errichten der Abdichtungsbauwerke und die Verfüllung von Grubenbauen einschließlich aller vorbereitenden Maßnahmen stellt uns natürlich vor besondere Herausforderungen. Auch müssen bis zum Ende beide Schächte erhalten und verbunden bleiben. Sie dienen als Fluchtwege. Erst zum Schluss werden auch diese abgedichtet.

Einblicke: Lassen Sie uns auf eine Zeitreise gehen, sagen wir ins Jahr 6500. Dann wäre das Endlager ungefähr so alt wie heute die Cheops-Pyramide. Was hätte der Zahn der Zeit bis dahin mit den Betonfüllungen angestellt?

Viel bedeutsamer ist, was sich in dieser Zeit im Gebirge abspielt. Das Salz hat ja immer das Bestreben, Hohlräume zu schließen und Spannungen im Gebirge auszugleichen. Wenn es also nach der Verfüllung noch Hohlräume gibt, werden diese mit der Zeit verschwinden und das Gebirge vollständigen Kontakt zum Beton haben.

Bei den Abdichtungen stellen wir diesen Kontakt bereits beim Bau her. Der Druck des Gebirges auf den Abdichtungsbaustoff steigt. Klüfte können sich nicht bilden, das Ganze bleibt „wasserdicht“. Kurzum: Im Jahr 6500 werden alle Abdichtungen sowie der stützende Beton vom Salz fest umschlossen sein. Genau wie die eingelagerten Abfälle.

Einblicke: Wie bewerten Sie die Gefahr durch Lösungszutritte?

Derzeit laufen über das „Lager H“ rund zwölf Kubikmeter Salzlösung pro Jahr ins Bergwerk. Wie sich der Zutritt weiter entwickeln wird, ist ungewiss. Vielleicht füllt sich in diesem Zeitraum der von den Abfällen weit entlegene nördliche Teil der Grube Marie langsam mit Salzlösung. Das Sicherheitskonzept trägt diesem Umstand Rechnung und sieht gezielte Abdichtungen an entsprechenden Stellen vor. Die Abfälle werden auch in diesem Fall nicht mit Lösung in Kontakt kommen.

Einblicke: Es gibt zweifelsohne Risiken wie der Einschlag eines Meteoriten, die sich nicht kalkulieren lassen.

Ja, das stimmt. Aber wenn hier ein Meteorit einschlägt, der das Endlager in über 300 Meter Tiefe beschädigt, dann haben wir wohl ganz andere Probleme.

Einblicke: Wir können kaum abschätzen, wie die Welt in den nächsten Jahren, geschweige denn Jahrzehnten aussehen wird. Gehört der Mensch nicht ebenfalls zu den unkalkulierbaren Risiken?

Sollte eine zukünftige Gesellschaft die endgelagerten Abfälle bewusst herausholen wollen, setzt dies die Kenntnis des Endlagers voraus und ist auch von den dann lebenden Menschen zu verantworten. Die möglichen Auswirkungen eines unbeabsichtigten zukünftigen Eindringens in das Endlager werden von uns ebenso betrachtet wie hypothetische oder „Was-wäre-wenn“-Szenarien. Da diese jedoch letztlich immer unvorhersehbar bleiben werden, können hier keine gezielten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Diese Art der Ungewissheit müssen wir also akzeptieren. Um also Ihre Frage zu beantworten: Ja, der Mensch mit seinem Handeln ist und bleibt ein Risiko.

Einblicke: Letztlich lässt sich eine Prognose über einen Zeitraum von einer Million Jahren allenfalls für die geologischen Entwicklungen stellen, oder?

Ja, da haben Sie recht. Die meisten von uns können sich einen Zeitraum von einer Million Jahren nicht vorstellen. Für Geologen ist das hingegen nichts Ungewöhnliches. Die geologischen Prozesse laufen derart langsam ab, dass in dieser Zeit keine wesentlichen Veränderungen zu erwarten sind. Die Ungewissheiten in Bezug auf diese Prozesse sind also eher gering. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kenntnis über die vorhandenen geologischen Strukturen möglichst gut ist.

„Ja, der Mensch mit seinem Handeln ist und bleibt ein Risiko.“ (Matthias Mohlfeld)

Anspruchsvoller ist die Bewertung von Ungewissheiten, die sich aus den geotechnischen Maßnahmen ergeben. Da über so lange Zeiträume keine Erfahrungen vorliegen, müssen wir zum einen genau wissen, welche sicherheitsrelevanten Eigenschaften unsere Bauwerke nach ihrer Fertigstellung haben. Zum anderen müssen wir verstehen, was mit einem Bauwerk passieren kann, wenn es zukünftig unterschiedlichen Einwirkungen ausgesetzt ist. Den ersten Punkt ermitteln wir anhand der Demonstrationsbauwerke, die in den nächsten Jahren errichtet werden, und für den zweiten Punkt werden umfangreiche Untersuchungen und Modellierungen durchgeführt. Die verbleibenden bekannten Ungewissheiten werden dokumentiert und mögliche Auswirkungen bei der Bewertung des Gesamtsystems berücksichtigt.

Einblicke: Wie gehen Sie am Ende mit den Restunsicherheiten um?

Wir berücksichtigen bei der Bewertung der Langzeitsicherheit die Auswirkungen aller uns bekannten und auch hypothetischen Ungewissheiten. Dieses Vorgehen entspricht dem internationalen Stand von Wissenschaft und Technik. Dabei zeigt sich, dass das Endlager Morsleben trotz seiner teilweise nicht optimalen Randbedingungen – es handelt sich ja schließlich um ein ehemaliges Salzbergwerk – in Bezug auf die Langzeitsicherheit ein sehr positives Systemverhalten zeigt. Der Grund dafür ist der tiefe Lagerort in einer geologisch geeigneten Salzformation. Deshalb bin ich auch überzeugt davon, dass die Folgen von Restunsicherheiten bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle am besten in einem geologischen Tiefenlager beherrschbar sind.

Infografik: Das Endlager Morsleben wird stillgelegt. Bei der Betrachtung der Langzeitsicherheit berücksichtigen Expert*innen verschiedenste Ungewissheiten.

Der Autor

Die Fragen stellte Joachim Schüring, Geologe und Head of Content des Studio ZX.

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